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Das soll sich ändern: Die zentralen Ergebnisse im Ampel-Koalitionsvertrag

Am Mittwoch hat die künftige Bundesregierung ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. Ein Überblick über die zentralen Themen und Veränderungen.
"Mehr Fortschritt wagen" lautet das Motto der Ampel-Koalition. (Symbolbild: Lindsay Henwood)
“Mehr Fortschritt wagen” lautet das Motto der Ampel-Koalition. (Symbolbild: Lindsay Henwood)

71 Tage nach der Bundestagswahl legen SPD, Grüne und FDP ihren Koalitionsvertrag vor. Er birgt einige Überraschungen wie das Wahlrecht ab 16 oder die Abschaffung des Paragrafen 219a. Wir dokumentieren die wichtigsten Pläne der Ampel-Koalition.

Steuern und Finanzen

Die Ampel ist größenteils bei ihrer Ansage geblieben, Steuern nicht zu erhöhen. Aber es kann Ausnahmen geben: „Unwirksame und umwelt- und klimaschädliche Subventionen und Ausgaben” sollen gekürzt werden. Konkrete Angaben dazu fehlen. Sogenannte „Superabschreibungen”, also Steuernachlässe für Firmen, sollen 2022 und 2023 private Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung anreizen.

Finanzpolitisch könnten sich SPD, Grüne und FDP 2022 eine höhere Staatsverschuldung genehmigen, als bisher vereinbart. Die Schuldenbremse im Bundeshaushalt wird dann ab 2023 wieder eingehalten. Allerdings will man das Berechnungsverfahren ändern, so dass der Bund möglicherweise mehr Kredite aufnehmen kann. Um die öffentlichen Investitionen zu steigern, sollen staatliche und teilstaatliche Unternehmen und Institutionen wie die Deutsche Bahn AG, die KfW-Bankengruppe oder die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben mehr Geld ausgeben können.

Bauen und Wohnen

Die Mietpreisbremse wird bis 2029 verlängert. Mieterhöhungen werden auf elf Prozent in drei Jahren begrenzt, statt 15 Prozent bisher. Außerdem sollen sich Vermieter und Mieter Mehrkosten durch den Klimaschutz teilen. Das Wohngeld wird gestärkt und ein Mietspiegel für alle Kommunen über 100.000 Einwohner zur Pflicht. Jährlich sollen 400.000 Wohnungen neu gebaut werden, davon 100.000 geförderte. Geldwäschern erschwert die Koalition das Handwerk. Bargeldzahlungen beim Immobilienkauf werden verboten. Außerdem werden Steuerschlupflöcher bei Immobiliengeschäften gestopft.

Arbeit und Soziales

Der Mindestlohn steigt auf zwölf Euro. Kettenbefristungen von Arbeitsverträgen sollen maximal sechs Jahre möglich sein. Die Grenzen für Mini- und Midijobs werden auf 520 Euro und 1.600 Euro angehoben. An die Stelle der Grundsicherung im Alter und Hartz IV rückt ein Bürgergeld. Die Renten werden nicht gekürzt, und die Beiträge bleiben bis zum Ende der Legislaturperiode unter der Marke von 20 Prozent. Das Rentenalter bleibt unangetastet. Aber der Nachholfaktor wird wieder eingeführt. Das bedeutet, die im nächsten Jahr üppige Rentenanpassung von über fünf Prozent wird halbiert. Zudem beginnt der Bund mit dem Aufbau einer Aktienrente. Die Rentenversicherung erhält 2022 zehn Milliarden Euro für den Aufbau eines Kapitalstocks an den Finanzmärkten. Die Riester-Rente wird reformiert und die Selbständigen müssen für das Alter vorsorgen.

Gesundheit

Die Ampel will für eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung in Stadt und Land sorgen, dazu zählen die Digitalisierung und die elektronische Patientenakte. In der stationären Pflege sollen Eigenanteile begrenzt werden, dafür wird der Beitrag zur Pflegeversicherung „moderat” angehoben. Kurzzeit- und Verhinderungspflege werden entbürokratisiert, das Pflegegeld wird angehoben. Wie genau, steht nicht in dem Papier. Die Budgetierung der Hausärzte wird aufgehoben. In der Frauengesundheit werden die Hebammen wieder gestärkt. Der Paragraph 219a, der die Information durch Ärztinnen und Ärzte zu Schwangerschaftsabbrüchen unter Strafe stellt, wird abgeschafft. Das Thema Sterbenhilfe will die Ampel erneut dem Parlament vorlegen. Zu guter letzt kommt die Abgabe von Cannabis „an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften”.

Energie und Klima

Von steigenden Energiepreisen sollen Privathaushalte und Firmen teilweise entlastet werden, indem die sogenannte EEG-Umlage in den Stromrechnungen ab 2023 komplett wegfällt. Sie wird dann aus dem Bundeshaushalt finanziert. Insgesamt wollen die Koalitionäre die erneuerbaren Energien schnell und massiv ausbauen, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern. „80 Prozent Ökostrom bis 2030″ lautet ein Ziel. Planungsverfahren soller schneller, trotzdem der Artenschutz durch „bundeseinheitliche Bewertungsmethoden” gewährleistet werden. Indem der Kohlendioxidpreis nicht unter 60 Euro pro Tonne sinkt, werden die Kohlekraftwerke schon um 2030 unwirtschaftlich und in der Folge abgeschaltet.

Verkehr

Jetzt ist es amtlich: Es wird kein generelles Tempolimit geben. Jugendliche ab 16 Jahren dürfen bald in Begleitung Auto fahren, wenn sie den Führerschein haben. Das Schienennetz soll beschleunigt ausgebaut werden. Bundesfernstraßen werden nur noch erhalten und saniert, vor allem die Brücken. Künftig soll mehr Geld in die Schiene fließen als in den Straßenbau. Die Deutsche Bahn bleibt als integrierter Konzern erhalten. Allerdings werden die Infrastruktur-Töchter für das Netz und die Stationen nebst Service zusammengelegt und als gemeinwohlorientierte Gesellschaft weitergeführt. Die Länder bekommen mehr Geld für den Nahverkehr. Bis 2030 sollen 15 Millionen E-Autos auf den Straßen rollen. Die Ladeinfrastruktur dafür wird ausgebaut. Die Lkw-Maut wird auf Fahrzeuge ab einem Maximalgewicht von 3,5 Tonnen ausgeweitet.

Landwirtschaft und Ernährung

Im kommenden Jahr wird eine Tierhaltungskennzeichnung eingeführt. Auch Herkunftskennzeichnungen soll es bald geben. Die Landwirtschaft wird bei Investitionen in mehr Tierschutz unterstützt. Auf den Feldern soll weniger gespritzt werden. Das Pflanzengift Glyphosat darf ab 2023 nicht mehr eingesetzt werden. Die Regierung will gesundheitsbewusste Ernährung fördern. Dazu gehört ein Verbot von Kinderwerbung für besonders fette, salz -oder zuckerhaltige Produkte. Bis 2030 soll sich der Anteil an Ökolandbau auf 30 Prozent erhöhen.

Wirtschaft

Quer durch den Koalitionsvertrag zieht sich überall der Bürokratieabbau: weniger Papierkram, die Verwaltung soll schneller, digitaler bundesweit einheitlicher werden. Ähnliches planten schon die vorhergehenden Regierungskoalitionen, scheiterten aber meist an sich selbst, der Trägheit der Verwaltungen und dem deutschen Föderalismus. Besonders beschleunigen will die künftige Regierung Firmengründungen: Sie sollen binnen 24 Stunden möglich sein. Die staatliche Förderbank KfW wird zu einer Innovations- und Investitionsagentur ausgebaut und für junge Unternehmen vermehrt Wagniskapital bereitstellen. Auf drei Gebieten soll Deutschland künftig führend werden: Wasserstoff, Batteriebau und -recycling und Halbleitertechnologie. Nachholbedarf hat Deutschland auch bei Frauen in Spitzenpositionen von Unternehmen.

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Digitalisierung

Ein Glasfaseranschluss für jedes Haus ist das Ziel der Koalitionäre. In Regionen, die Unternehmen bisher nicht angeschlossen haben, etwa weil es sich nicht rechnet, investiert künftig der Staat. Um den Ausbau zu beschleunigen, versprechen die Koalitionäre einfache digitale Antrags- und Vergabeverfahren. Diejenigen, die bereits einen Anschluss haben, deren Internet aber langsamer als vertraglich vereinbart ist, bekommen mehr Rechte, sich zu wehren. Auch ein pauschaler Schadenersatz soll möglich sein. Gegen Hass und Bedrohung im Netz will die neue Regierung mit einem neuen Gesetz stärker vorgehen. Betroffene sollen es einfacher haben, Auskunft über die Täter zu bekommen, und auch digital Anzeige einreichen können. Das Gesetz soll auch Account-Sperren ermöglichen.

Bildung

Auch wenn die Bildung überwiegend in der Hand der Länder liegt: Die Ampel-Koalition plant bundesweit einheitliche Standards für Kitas. Vorgesehen ist auch mehr Geld, damit das Angebot an Plätzen ausgebaut werden kann. Rund 4.000 Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schüler bekommen zusätzlich Geld, um das Angebot zu verbessern. Bei allem ist der Bund darauf angewiesen, dass das Geld auch abgerufen wird. Beim Digitalpakt mit Millionen für den digitalen Ausbau der Schulen hakt es da deutlich. Deshalb soll es eine Neuauflage geben. Zudem wird das Bafög reformiert. Es soll unabhängiger von den Einkommen der Eltern werden und mehr Menschen über eine längere Zeit zur Verfügung stehen.

Familie

Ein wichtiger Punkt ist hier, dass eine neue Kindergrundsicherung eingeführt werden soll, die bisherige Unterstützungszahlungen wie Kindergeld, Kinderzuschlag oder Hartz IV bündelt und vereinfacht. Die Grundsicherung besteht aus einem Betrag, der für alle Kinder gleich ist, und einem weiteren, vom Einkommen der Eltern abhängigen Zusatzbetrag. Über die Höhe der Grundsicherung steht nichts im Koalitionsvertrag. Außerdem will die Ampel eine „zweiwöchige vergütete Freistellung für die Partnerin oder den Partner nach der Geburt eines Kindes einführen”. Und es heißt: „Wir werden die Kinderkrankentage pro Kind und Elternteil auf 15 Tage und für Alleinerziehende auf 30 Tage erhöhen.”

Kultur

Museen, Gedenkstätten, Theater und andere Kultureinrichtungen können auf mehr Geld hoffen. Wobei im Koalitionsvertrag vor allem Formulierungen wie „auskömmlich” stehen, was wenig konkret ist. Ebenfalls noch schwammig: Die Reform der deutschen Filmförderung. Aber sie kommt. Die Koalitionäre wollen die Rückgabe von NS-Raubkunst erleichtern. So soll es keine Verjährungsfrist mehr geben und ein einheitlicher Gerichtsstand gelten. Und ein Erfolg für all jene, die gern vom Sessel aus im Computer Sport treiben: E-Sport wird gemeinnützig, kann also künftig auch im Verein gespielt werden.

Innenpolitik und Sicherheit

Zum Schutz der Freiheitsrechte will die Ampel die Bundespolizei gut ausstatten. Polizisten sollen besser ausgebildet werden, eine transparente Fehlerkultur wird gestärkt. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz wird reformiert. Freiwllige Helfer werden künftig unterstützt durch bundesweit einheitliche Freistellungs- und Versicherungsschutzregeln. Gemeinsamt mit den Ländern will man die Sicherheitsarchitektur „einer Gesamtbetrachtung unterziehen”. Der Kampf gegen organisierte Kriminalität wird zum Schwerpunkt für die Sicherheitsbehörden. Der 11. März wird nationaler Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt. Zur Verbesserung der Arbeitskräftesituation wird das Einwanderungsrecht reformiert. Neben dem bestehenden wird eine „Chancenkarte” mit einem Punktesystem eingeführt. Die Bluecard soll auf nichtakademische Berufe ausgeweitet werden.

Außenpolitik

Europa ist der Schlüssel für die Außenpolitik der nächsten Jahre. Deutsche Interessen werden „im Lichte europäischer Interessen” bewertet. Ebenso bekennt sich die Ampel zur Nato und zur UN. Die internationale Zusammenarbeit wird neu belebt, Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik-Partnerschaften werden vertieft. In der Flüchtlingspolitik werden „praxistaugliche und partnerschaftliche Vereinbarungen mit wesentlichen Herkunftsländern unter Beachtung menschenrechtlicher Standards” geschlossen. Das europäische Asylsystem soll „grundlegend reformiert” werden. Außenpolitik wird künftig Klimapolitik im Sinne des Pariser Klimaabkommens. Die internationalen Abrüstung und Rüstungskontrolle soll wiederbelebt werden.

Verteidigung

Die Ampel tritt für eine verstärkte Zusammenarbeit nationaler Armeen „integrationsbereiter EU-Mitglieder” mit gemeinsamen Kommandostrukturen ein. Frontex soll zu einer „echten Grenzschutzagentur” werden, die sich im Rahmen ihres Mandats an Seenotrettungen beteiliegt. Die Bundeswehr wird „bestmöglich personell, materiell sowie finanziell verlässlich ausgestattet”. Um die Einsatzbereitschaft zu verbessern, soll das Beschaffungswesen verbessert werden. Das Tornado-Nachfolgesystem wird zeitnah beschafft; bewaffnete Drohnen werden unter völkerrechtlichen Auflagen ermöglicht. Für den Afghanistaneinsatz soll ein Untersuchungsausschuss eingesetzt werden. Künftig werden sämtliche zivile und Militärmissionen eine Exit-Strategie vorsehen.

Justiz

Gerichtsverfahren sollen beschleunigt werden, etwa durch Online-Sitzungen. Kleinforderungen könnten in vereinfachten Verfahren entschieden werden. Um die Justiz zu entlasten, will man das Strafrecht auf Handhabbarkeit und Widersprüche überprüfen. In Strafprozessen werden künftig Vernehmung und Hauptverhandlung in Bild und Ton dokumentiert; Gerichtsentscheidungen sollen in anonymisierter Form in einer Datenbank öffentlich gemacht werden. Die Verteidigung Beschuldigter wird ab der ersten Vernehmung sichergestellt. Das Bundeskriminalamt wird im Kampf gegen Kindesmissbrauch gestärkt. Das geltende Waffenrecht wird evaluiert und nachgeschärft. Bei geplanten Sicherheitsgesetzen berät künftig eine „Freiheitskommission” im Hinblick auf Bürgerrechte und Demokratie. Nachrichtendienste werden stärker parlamentarisch kontrolliert.

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