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Koalitionsverhandlungen: Stimmung, Posten, Positionen

Am Mittwoch beginnen in Berlin die Verhandlungen der Ampelkoalition. Stimmung, Posten, Positionen – der große Überblick.
Am Mittwoch beginnen die Koalitionsverhandlungen der Ampelkoalition aus SPD, FDP und den Grünen. (Foto: Tsvetoslav Hristov)
Am Mittwoch beginnen die Koalitionsverhandlungen der Ampelkoalition aus SPD, FDP und den Grünen. (Foto: Tsvetoslav Hristov)

Am Mittwoch beginnen in Berlin die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, FDP und den Grünen. Was ist geplant, wer wird welche Ämter besetzen? Der große Überblick.

Der Fahrplan

„Am Nikolaus ist Groko-Aus.” Diese Ankündigung vom Juso-Bundeskongress 2019 könnte nun doch noch eintreten. Damals hat der SPD-Parteinachwuchs den Ausstieg aus der Koalition mit der Union gefordert. Im Jahr 2021 könnte am Nikolaustag Olaf Scholz zum Nachfolger Angela Merkels als Bundeskanzler gewählt werden. Vorausgesetzt natürlich, SPD, Grüne und FDP halten ihren ehrgeizigen Zeitplan aus. An diesem Mittwoch kommen in Berlin die Facharbeitsgruppen zusammen, insgesamt 300 Politikerinnen und Politiker. Zwei Wochen später legen die Teams dann ihre Ergebnisse vor, die von den Parteien bestätigt werden müssen. Die FPD plant einen Sonderparteitag, die Grünen befragen ihre Mitglieder. Wie die SPD das handhabt, entscheidet sie an diesem Montag, vermutlich werden auch hier die Mitglieder entscheiden. Liegen die Zustimmungen vor, könnte in der zweiten Dezemberwoche Olaf Scholz vom Parlament zum neuen Kanzler gewählt und auch die Minister benannt werden. Der Nikolaustag ist übrigens ein Montag.

Die Posten

Dass Olaf Scholz Kanzler wird, ist klar. Aber strittig ist, wer das Finanzministerium bekommt – Christian Lindner oder Robert Habeck. Beide trauen sich das zu. Im letzten Kabinett Merkel war Olaf Scholz als Finanzminister auch Vizekanzler; rechnerisch müssten also die mit über drei Prozentpunkten stärkeren Grünen das Amt übernehmen. Aber diesmal ist alles anders. Noch nie gab es ein Dreierbündnis im Bund. Routinen, auf die man sich berufen könnte, gelten nicht mehr. Überhaupt ist aus den Parteien und Fraktionen immer wieder zu hören, dass es „erhebliche Umbauten” bei den Ressortzuschnitten geben wird. Immer mal wieder ist von einem” Superminusterium” die Rede, in dem Klima, Energie und Wirtschaft gebündelt werden. Bei der Besetzung von Posten hat die SPD zuletzt Lehrgeld bezahlt. Die Genossen waren drauf und dran, alle einflussreichen Ämter mit Männern zu besetzen. Am Ende wurde umdisponiert. Es ist eine Frage von Tagen, wann sich auch der Parteinachwuchs meldet und seinen Anteil an der Macht einfordert.

Steuern und Finanzierung

Der Widerspruch steckt schon in den Formulierungen des Sondierungsergebnisses der drei Parteien. Einerseits heißt es auf Wunsch der FDP dort: „Wir werden keine neuen Substanzsteuern einführen und Steuern (…) nicht erhöhen.” Andererseits spiegelt sich die Haltung von SPD und Grünen in diesem Satz wieder: „Wir wollen (…) überflüssige, unwirksame und umwelt- und klimaschädliche Subventionen und Ausgaben überprüfen.” Beides gleichzeitig geht nicht: Wenn beispielsweise der im Vergleich zu Benzin niedrigere Steuersatz für Diesel angehoben würde, wäre dies auch eine Steuererhöhung. Die drei Parteien werden solche Kompromisse finden müssen, denn sie brauchen mehr staatliches Geld, um ihr gemeinsames Ziel zusätzlicher Investitionen zu erreichen.

Klima

Hier wird ein wesentlicher Konflikt im Sondierungspapier nur verklausuliert benannt: „Wir wollen das Brennstoffemissionshandelsgesetz und den europäischen Emissionshandel (…) überarbeiten.” Dahinter verbirgt sich, dass Grüne und FDP den Preis für Kohlendioxid-Ausstoß stark erhöhen möchten, was beispielsweise Heizwärme und Benzin deutlich verteuern würde. Die SPD, die an Privathaushalte mit geringeren Einkommen denkt, ist da vorsichtiger. Mit dieser Frage hängt der soziale Ausgleich für höhere Klima- und Energiekosten zusammen. Die Grünen fordern ein ausgleichendes Energiegeld für alle Bürgerinnen und Bürger. Der Begriff kommt bisher allerdings nicht vor, nur von der Abschaffung der EEG-Umlage im Strompreis ist die Rede. Das aber wird als Ausgleich auf die Dauer nicht reichen. Strittig ist außerdem der Zeitpunkt der Ausstiegs aus der Kohleverstromung. Die Grünen wollen ihn bis 2030 durchsetzen, die SPD ist zögerlicher.

Verkehr

Je lockerer die Formulierung, desto weiter weiter entfernt von einem Kompromiss sind die Verhandlungspartner. So dürfte es beim Thema Verkehr noch einen erheblichen Gesprächsbedarf geben. Auf den ersten Blick hat die FDP hier schon einen wichtigen Pfeiler eingerammt. Ein Tempolimit auf den Autobahnen wird es nicht geben. Viel mehr ergab die Sondierung noch nicht. Dabei warten auf die künftige Regierung enorme Herausforderungen, die vor allem sehr viel Geld kosten. Da ist der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, damit mehr Menschen auf Busse und Bahnen umsteigen können. Die Bahn soll auf den Deutschlandtakt zusteuern. Allein die dafür notwendigen Investitionen werden auf 50 Milliarden Euro geschätzt. Schließlich kostet auch der Erhalt der schon vorhandenen Straßen riesige Summen. Schließlich soll der Umstieg auf CO2-freie Autos vorangetrieben werden. Vergnügungssteuer müssen die Unterhändler bestimmt nicht entrichten.

Rente

Ja, sie ist sicher, die Rente. Nur die Höhe der Altersbezüge leider nicht. Dabei ist die Alterssicherung wohl neben dem Klimaschutz die größte Herausforderung der Politik. Es scheint aber so, als habe sich die Ampel schon auf ein feuriges „Weiter so!” verständigt. Weder sollen die Menschen länger arbeiten, noch weniger Rente bekommen. Dabei pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass dann entweder die Beiträge steigen oder der Steuerzahler mehr zuschießen muss. Doch da findet sich doch noch etwas Neues: Die Aktienrente. Die Rentenversicherung soll einen kleinen Teil der Beiträge an den Aktienmärkten anlegen und so zur Entlastung der Beitragszahler beitragen. Klingt vernünftig, hilft aber nur langfristig. Wie das Rentensystem stabilisiert werden soll, bleibt einstweilen ein großes Geheimnis des Verhandlungsteams.

Außen- und Sicherheitspolitik

Im Sondierungspapier kommt das Thema Außen- und Sicherheitspolitik an zehnter und damit letzter Stelle. Da ist viel von Werten, Zukunft und Verantwortung die Rede, es findet sich aber wenig Konkretes. Man werde, ist zu lesen, deutsche Politik stets im Lichte europäischer Politik definieren. Nachdem Angela Merkel – für viele irritierend – 2017 das Angebot Emanuel Macrons einer vertieften Zusammenarbeit in der Eurozone hat verstreichen lassen, stellt die Ampel nun einen Neuanfang mit Paris in Aussicht. Verteidigungspolitisch bekennt sich die Ampel zur Nato. Die Ausrüstung der Bundeswehr soll verbessert werden. Das überstürzte Ende des Afghanistan-Einsatzes soll ein Untersuchungsausschuss abklären und Schlussfolgerungen für die Zukunft ziehen. Der Bereich innere Sicherheit fehlt völlig. Angesichts von sich radikalisierenden Rändern, Anschlägen auf Minderheiten und Politiker wird die Koalition hier noch viel nachzuarbeiten haben.

Gesundheit und Pflege

Ganze 18 Zeilen widmet das Sondierungspapier der Gesundheitspolitik. Über pflegebedürftige Menschen verliert es aber kaum ein Wort; besonders in den Finanzierungsfragen sind sich die Ampel-Parteien uneins. Die Grünen fordern in ihrem Wahlprogramm, dass Pflegebedürftige notwendige Leistungen erhalten, „ohne von Armut bedroht zu sein”. Mit einer Pflegebürgerversicherung sollen sich nach Vorstellung der Grünen alle einkommensabhängig an der Finanzierung des Pflegerisikos beteiligen. Die auch von der SPD angekündigte Bürgerversicherung scheint aber vom Tisch: „Die gesetzliche und private Gesundheits- und Pflegeversicherung bleiben erhalten”, steht im Sondierungspapier. Die FDP will hingegen laut ihrem Wahlprogramm zur Finanzierung den Ausbau von betrieblichen Modellen zur Pflegezusatzversorgung unterstützen.

Und die Stimmung?

Zügig und kooperativ – so kann man die Stimmung zwischen den Ampelmännern und -frauen beschreiben. Dass diese Koalitionäre sich nicht in wochenlangen Wochenend und Nachtsitzungen niederzuringen versuchen, entspricht einem modernisierten Arbeitsbegriff: Das Ergebnis stimmt dann, wenn alle Seiten Projekte bekommen, die sie in der Wahlperiode professionell bearbeiten können. So kommt es, dass Tempolimit und Bürgerversicherung sehr schnell von der Tagesordnung verschwanden, die Grünen aber dafür beim Kohleausstieg und Wind- und Sonnenenergie ihren Punkt machen können. Die FDP kann ihr Versprechen halten, keine Steuererhöhungen zu akzeptieren. Und die Sozialdemokraten haben den Mindestlohn von 12 Euro und die stabile Rente festgeschrieben. Nach außen treten die Unterhändler äußerst loyal und erstaunlich gutgelaunt auf. Man will den Eindruck vermitteln, Vertrauen zu rechtfertigen. Die Union kann sich hier ein Beispiel nehmen.

Mitarbeit: Lisa Urlbauer

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