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Rente, Lohn, Hartz IV: Baustelle soziale Gerechtigkeit

Zur Frage von Arm und Reich äußern sich viele Politiker nicht gerne. Im Wahlkampf spielt das Thema deshalb eine eher kleine Rolle.
Im Wahlkampf spielt soziale Ungerechtigkeit kaum eine Rolle. (Foto: Towfiqu Barbhuiya)
Im Wahlkampf spielt soziale Ungerechtigkeit kaum eine Rolle. (Foto: Towfiqu Barbhuiya)

Das große Thema der sozialen Gerechtigkeit kommt in diesem Wahlkampf selten vor. Eine Ausnahme war die Sonntagabend-Sendung von Anne Will in der ARD am 5. September. Da ging es mal um die Ideen der Parteien zu Steuern und ihrer Verteilung. Und manchmal spielt Gerechtigkeit eine Rolle, wenn darüber debattiert wird, wer die steigenden Kosten für den Kohlendioxid-Ausstoß tragen soll. Meist aber halten sich die Wahlkämpfenden bedeckt: Sie wollen nicht darüber sprechen, wer wenig hat, wer viel, und ob das gerecht ist. Denn die Botschaften könnten viele Leute verschrecken.

Arm und Reich

Die Vermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt. Den reichsten fünf Prozent der Bevölkerung gehört über die Hälfte allen Vermögens (Häuser, Firmen, Geld, Wertgegenstände). Nach Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) kommt alleine das reichste eine Prozent der Bürgerinnen und Bürger auf einen Vermögensanteil von gut einem Drittel. Die ärmere Hälfte der Bevölkerung besitzt dagegen fast nichts – abgesehen von ein paar tausend Euro auf dem Konto, den Möbeln in der Wohnung und dem Auto. Bei den Arbeitseinkommen sind die Unterschiede nicht ganz so groß, aber immer noch erheblich. Immerhin hat sich die Schere beim Zuwachs der Einkommen zwischen Gut- und Niedrigverdienern seit 2015 nicht mehr weiter geöffnet.

Wer Vermögens- und Einkommensunterschiede vergrößern oder verringern will, muss die Steuern ändern. Wenn der Satz der Einkommenssteuer für hohe Verdienste steigt, geben die Gutverdiener mehr beim Finanzamt ab. Die Schere zwischen Arm und Reich kann sich dann etwas schließen. Gleiches gilt für die Erbschaftssteuer bei der Weitergabe großer Vermögen. Will man dagegen die Reichen entlasten, senkt man beispielsweise oben die Einkommenssteuer und hebt die Mehrwertsteuer an, die alle bezahlen, bei den ärmeren Bevölkerungsgruppen aber mehr zu Buche schlägt.

Löhne und Mindestlohn

Im Konjunkturaufschwung des vergangenen Jahrzehnts stiegen die Löhne vieler Beschäftigter. Trotzdem gibt es hierzulande einen ausgeprägten Niedriglohnsektor, teilweise sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf ergänzendes Hartz IV angewiesen. Und beispielsweise in der Pflege alter und kranker Menschen spiegeln die Verdienste nicht die Belastung am Arbeitsplatz wieder, weshalb das Pflegepersonal des Berliner Krankenhaus-Unternehmen Vivantes jetzt in den Streik tritt.

Politiker, die die Situation schlecht bezahlter Beschäftigter verbessern wollen, können bei den Tarifverträgen ansetzen. Eine Möglichkeit besteht darin, die sogenannte Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen zu erleichtern. Sie gelten dann nicht nur für Firmen, die Mitglied im Arbeitgeberverband sind, sondern für alle Betriebe einer Branche. Eine andere Variante: die Erhöhung des Mindestlohns. Derzeit darf niemand weniger als 9,60 brutto pro Stunde verdienen. Stiege die Untergrenze auf 12 oder 13 Euro, würden hunderttausende Leute die Armut hinter sich lassen.

Existenzsicherung

Sozialverbände monieren seit Jahren mit plausiblen Argumenten, dass die Sätze von Hartz IV und Sozialhilfe zu niedrig liegen. Sie würden nicht die tatsächlichen Lebenshaltungskosten abbilden und kein ausreichendes Existenzminimum gewährleisten.

Eine Lösung bestünde darin, die Unterstützung für Erwachsene um beispielsweise 150 Euro monatlich anzuheben und eine höhere Grundsicherung für Kinder einzuführen. Außerdem wird darüber diskutiert, die Strafen für Regelverletzungen bei Hartz IV weitgehend abzuschaffen. Ein anderer, weitgehender Vorschlag besagt, allen Bürgerinnen und Bürgern einmal im Leben eine staatlich finanzierte Bildungszeit zu ermöglichen. Jede Person hätte das Recht auf beispielsweise 20.000 Euro, um ihre Ausbildung zu verbessern. Bildung ist ein guter Schutz gegen Armut.

Rente

Die gesetzliche Rentenversicherung steht unter Druck, weil weniger Beschäftigte einzahlen, aber mehr Empfänger Rente erhalten. Außerdem verdienen viele Leute so schlecht, dass mit sie ihren niedrigen Beiträgen nur armselige Auszahlungen erwirtschaften. Die Durchschnittsrente liegt in Deutschland bei gerade einmal 989 Euro. Die Altersarmut nimmt zu. Ein weiterer Faktor: Die ergänzende Riesterrente leitet einerseits zu viel Geld in die Taschen der Versicherungskonzerne, während andererseits die Versicherten keine Zinsen mehr bekommen.

Zur Abhilfe gibt es mehrere Ansätze: höhere Sozialbeiträge, niedrigere Renten, Beginn der Auszahlung erst mit 68 oder 69 Jahren, ein höherer Zuschuss aus dem Bundeshaushalt, eine Ausweitung der Zahl der Beitragszahler. Die FDP schlägt eine gesetzliche Aktienrente vor. Auch eine Alternative für das private Ansparen statt der Riesterrente käme in Frage. Vom höheren Staatszuschuss abgesehen, bringen alle Lösungen auch gewissen Nachteile (mehr Kosten, geringere Leistungen, längeres Arbeiten) für Millionen Beschäftigte mit sich.

Klima

Um den Klimawandel zu verlangsamen, steigt der Preis für den Ausstoß von Kohlendioxid. Damit werden unter anderem Benzin und Heizwärme teurer. Die Mittelschicht, Wohlhabende und Reiche haben damit kaum oder keine objektiven Probleme, vielleicht subjektive. Anders sieht es bei Haushalten mit unterdurchschnittlichen und niedrigen Einkommen aus.

Diskutiert wird deshalb, die Mehrkosten zurückzuerstatten. Dabei könnte man ärmere Haushalte gegenüber wohlhabenden bevorzugen. Das würde die Schere zwischen Arm und Reich verringern – sonst wäre das Gegenteil der Fall.

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