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Warum sich Menschlichkeit im Business rechnet

Vertragen sich harte Fakten und Menschlichkeit im Business? Sie müssen! Denn nur so bleiben unsere Firmen zukunftsfähig. Über die Mathematik der Menschlichkeit.
Im Business geht es um mehr als Fakten, es geht auch um Menschen. (Foto: Ramiro Mendes)
Im Business geht es um mehr als Fakten, es geht auch um Menschen. (Foto: Ramiro Mendes)

Als Ingenieurin und Mathematikerin komme ich aus dem Bereich der „harten“ Fakten. Ein wenig Wunderglaube und eine nahezu magische Zahl gibt es allerdings auch in der Welt der Zahlen, Daten und Fakten: „Bis 2022 soll die Effizienz in der Fertigung um satte 15 Prozent steigen“, „Beratungsunternehmen erwartet von Digitalisierung 15 Prozent Effizienzsteigerung im Gesundheitswesen“, „15 Prozent Effizienzsteigerung durch Lösung XY“. Ein verbreiteter Ansatz im Lean-Management ist, dass 15 Prozent Effizienzsteigerung immer möglich sind. Manche lehnen sich natürlich auch mit höheren Zahlen aus dem Fenster.

Excel-Tabellen alleine verändern kein Unternehmen

Und wie das geht? In einem Workshop entsteht eine Excel-Tabelle mit Maßnahmen und einer Einschätzung, wieviel Kapazität jede Maßnahme einspart. Das funktioniert tatsächlich und es kommt meist eine Zahl um die 15 Prozent heraus. Kurzfristig zumindest. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass die Liste drei Monate später auf irgendeinem Laufwerk versauert und nie wieder geöffnet wird. Vielleicht bei der nächsten Runde zur Effizienzsteigerung. Kein Wunder also, dass viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diese Anstrengungen gar nicht mehr ernst nehmen und sich wünschen, das Geld für Berater würde anders investiert.

Ich habe selbst lange im Lean-Management eines großen Automobilkonzerns Prozesse optimiert und meine eigene Entwicklung in Bezug auf Kennzahlen durchgemacht. Am Anfang war ich der totale Zahlen-Mensch. Doch irgendwann entwickelte ich eine regelrechte Abwehrhaltung und war überzeugt, dass Kennzahlen und Prozessoptimierungen nichts bringen, wenn die beteiligten Menschen nicht miteinander sprechen. Ich dachte, Kulturentwicklung ist die Lösung und wollte am liebsten nur noch das machen. Heute weiß ich, dass nur beides im Zusammenspiel sinnvoll ist, wir aber mit Sicherheit in Unternehmen ergänzende, neue Kennzahlen für die Transformation für die Zukunft brauchen.

Die Autorin

Barbara Kopp ist Vortragsrednerin, Unternehmensberaterin und Mathematikerin. Sie hat schon zahlreiche Change Projekte begleitet, u.a. im Lean Management großer Konzerne wie der Daimler AG. Dabei setzt sie sowohl auf die Prozesse als auch auf die Menschen, um Unternehmen zukunftsfähig zu machen. Dabei stellt sie in ihrer Beratung zur Organisationsentwicklung, in Zukunftsworkshops oder Workshops zur Steigerung der Teamresilienz immer wieder die Frage: Was kann das Unternehmen zu einem positiven Wandel beitragen und was kann jeder Einzelne tun? In ihren Impulsvorträgen und in ihrem Podcast inspiriert sie die Menschen, das Beste aus sich und ihrem Unternehmen herauszuholen.

Wir brauchen neue Werte

In den vergangenen Jahrzehnten war unsere Wirtschaftswelt stark geprägt von Attributen wie Macht, Ehrgeiz, Logik und Zielorientierung. Diese „harten“ Werte haben uns weit gebracht und Wohlstand beschert. Das Wachstum stößt aber an seine Grenzen, wenn wir uns jetzt nicht zunehmend auf „weiche“ Werte fokussieren und damit auf mehr Menschlichkeit im Business. Soziale Kompetenz ist das Gut des 21. Jahrhunderts und in vielen Unternehmen ist bereits ein Wandel zu beobachten, gerade bei vielen Start-ups, aber auch bei einigen etablierten Unternehmen. Für einige klingen Menschlichkeit und Business allerdings noch immer nach einem Widerspruch.

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Menschlichkeit bedeutet im unternehmerischen Kontext vor allem, das Beste aus den Menschen herauszuholen; die Stärken des Einzelnen zu fordern und zu fördern. Das mag auch für die Angestellten nicht immer angenehm sein. Menschlichkeit bedeutet nicht Friede, Freude, Eierkuchen, sondern kann auch zu Reibungen führen. Langfristig führt sie aber dazu, dass sich niemand verbiegen muss und jeder sein volles Potenzial ausschöpfen kann.

Neben dem Fokus auf die Persönlichkeit der Mitarbeitenden gehören Intuition, Kreativität, soziale Kompetenz, Sicherheit und Emotionen zu den immer wichtiger werdenden Werten. Diesen „Werte-Shift“ innerhalb der Unternehmen nicht nur zu erlauben und zuzulassen, sondern auch noch zu fördern, ist für mich ein wesentlicher Aspekt von guter und zukunftsfähiger Kulturentwicklung.

Die Mathematik der Menschlichkeit

Alle wollen sie eine gute Unternehmenskultur – daran zu arbeiten und dafür Zeit und vor allem Geld zu investieren, steht dann allerdings wieder auf einem anderen Blatt. Dabei hat eine Studie von Heidrick & Struggles aus den USA schon längst gezeigt, dass die Kultur eines Unternehmens und sein wirtschaftlicher Erfolg zusammenhängen – und zwar nicht nur leicht. Das Wachstum von Unternehmen mit kulturbewussten Chefinnen und Chefs ist mehr als doppelt so hoch wie das der anderen. Das Verhältnis lag bei 9,1 Prozent zu 4,4 Prozent.

Attribute wie Kreativität und Intuition benötigen zur Entwicklung vor allem eins: Raum und Zeit. Wenn die Angestellten von einem Termin zum nächsten hetzen, brauchen sich Führungskräfte nicht über mangelnde Fähigkeiten in dem Bereich zu wundern. Themen wie soziale Kompetenz werden vor allem durch Trainings zur persönlichen Entwicklung gefördert – auf allen Hierarchieebenen. Denn das Wichtigste für einen Kulturwandel ist: Die Geschäftsleitung muss immer bei sich selbst anfangen und ehrlich reflektieren:

  • Was sind unsere Ziele?
  • Was kann ich dazu beitragen?
  • Wie kann ich so führen, dass wir die Ziele erreichen?
  • Welche Werte benötigen wir dafür?
  • Kann ich meinen eigenen Ansprüchen genügen?
  • Warum ist dies manchmal so schwer?
  • Leben wir wirklich, was wir sagen?
  • Wirklich?

In der Persönlichkeitsentwicklung der Einzelnen sehe ich den größten Booster für den gesamten Entwicklungsprozess eines Unternehmens – egal welcher Größe. Das Zukunftsinstitut gibt in seinem Report „Wirtschaft nach Corona“ die Prognose ab, dass nach der Krise ein Teil der Kräfte zurück in das „alte Normal“ strebt. Zurück in die altbekannte Komfortzone, die es allerdings nicht mehr gibt oder in der es zumindest nicht mehr so bequem ist wie zuvor. Wir benötigen daher eine Gegenkraft, die in eine neue Welt aufbrechen möchte. Eine Kraft, die bereit ist, die Unsicherheit auszuhalten.

Starke Menschen für eine starke Zukunft

Menschen, die in ihrer Persönlichkeit gefestigt und sich ihrer Stärken bewusst sind, können Unsicherheit viel besser aushalten und bei allen Unwägbarkeiten entscheidungsfreudig bleiben, mit einem positiven Blick in die Zukunft. Unsere Unternehmen brauchen solche Menschen in Schlüsselpositionen. Menschen, die Lust haben, neue Wege auszuprobieren und mutig genug sind, Fehler zu machen.

Nur mit diesem Fokus auf den Faktor Mensch verändert sich nachhaltig etwas. Prozesse optimieren sich schließlich nicht von selbst und erst recht nicht, wenn die Menschen, die an ihnen beteiligt sind, nicht miteinander kommunizieren. Eine Zeit lang wollte ich am liebsten nur noch Kultur entwickeln. Ich dachte, wenn die Menschen glücklich zur Arbeit gehen, dann kommt der Erfolg von ganz allein. Heute weiß ich, dass die Wahrheit dazwischen liegt. Woran messen wir denn beispielsweise, dass die Angestellten zufrieden mit ihrem Arbeitsplatz und ihren Aufgaben sind?

Wer in Menschen investiert, schafft Dynamik

Wir brauchen einen starken Fokus auf die Zusammenarbeit, auf das Team, auf die Stärken jedes Einzelnen und jeder Einzelnen. Dafür benötigen wir Führungskräfte, die eine hohe emotionale Kompetenz haben oder bereit sind, sich darauf einzulassen und sich weiterzuentwickeln. Gleichzeitig benötigen wir auch die „Hard Facts“. Harte Zahlen und konkrete Ziele, die die Richtung weisen. Die den Weg vorgeben. Messbar und konkret, damit die Mitarbeitenden wissen, wann sie erfolgreich sind und sich feiern dürfen.

Dieses Investment in die Menschen und die Dynamik, die dadurch entsteht, rechnet sich am Ende und schlägt sich natürlich auch in den Unternehmenszahlen nieder – ist aber für die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens unbezahlbar.

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