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Das Stadion der Olympischen Spiele von München 1972 kommt wieder zum Einsatz. (Foto: Christoph Keil)

Genug mit Popanz: Wie mehr Nachhaltigkeit in den Sport kommt

Der Sport kann nicht so weitermachen wie bisher. Wenn er gesellschaftlich akzeptiert sein will, muss er nachhaltiger werden. Das kann gelingen.

Bald sind wieder Olympische Spiele. Im Februar treffen sich die besten Wintersportlerinnen und Wintersportler in und um Peking, um sich im Eiskunstlaufen, Skifahren oder Curling zu messen. Es wird ein Weltfest des Sports. Mit allem Popanz. Die deutschen Rodlerinnen und Rodler haben schon einen Vorgeschmack darauf bekommen, was sie erwartet. Im Rahmen ihres Weltcups haben sie Wettbewerbe auf den Anlagen in Peking ausgetragen. Überraschenderweise sparten sie nicht damit, ihr Unverständnis zu äußern.

“Es passt einfach nicht mehr in die Welt”

“Es ist alles übertrieben, überdimensional, es ist Protz, um der Welt zu zeigen, was sie können”, sagte Felix Loch im Gespräch mit dem Sportinformationsdienst. Für die Rodlerinnen und Bobfahrer haben die Chinesen eine neue, komplett überdachte Bahn in Yanqing gebaut. “Es schaut schön aus“, so Loch: “Aber es passt einfach nicht mehr in die Welt, die sich ja gerade über Nachhaltigkeit Gedanken macht.” Es gehe dabei “nicht nur um die Rodelbahn, sondern um alle Sportstätten hier.”

Rund um die Welt verrotten olympische Anlagen, die mit riesigem Aufwand gebaut worden sind und die niemand mehr nutzt. In Peking könnte das erneut geschehen. Zwar ist in der Agenda 2020+5 des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) das Thema Nachhaltigkeit längst niedergeschrieben, nur umgesetzt wird sie noch nicht.

Auch die Sportlerinnen und Sportler haben es noch nicht alle verinnerlicht. Die Südtirolerin Dorothea Wierer kassierte einen Shitstorm, weil sie Fotos veröffentlichte, die sie im Privatjet zeigten auf dem Weg zu den Langlaufwettbewerben im schwedischen Östersund. Ihre Agenda sei so geplant gewesen, dass ihr nichts anderes übrig geblieben sei, verteidigte sich die Sportlerin.

Zum Glück hat ein Bewusstseinswandel eingesetzt

Die Beispiele zeigen, dass der Sport so nicht weitermachen kann. Das Klima hält das nicht aus. Und der Sport droht seine gesellschaftliche Akzeptanz zu verspielen, wenn er das nicht erkennt. Zum Glück hat inzwischen ein Bewusstseinswandel eingesetzt. Immer häufiger erhalte ich Anfragen von Verbänden und Veranstaltungsorganisatoren, die sich nachhaltiger aufstellen wollen.

Was Nachhaltigkeit ist, das habe ich von Kindesbeinen an erfahren. Ich bin als Tochter eines Försters groß geworden und habe viel Zeit im Wald verbracht. Dort habe ich gesehen, wie die Natur unter unserer Wirtschaftsweise leidet. Aus meiner Liebe zum Sport ergab sich der Wunsch, im Sport etwas zugunsten der Nachhaltigkeit zu bewegen. Nach meinem Sportmanagement-Studium und der Arbeit im Deutschen Boxsport-Verband habe ich entschieden, mich als Beraterin selbständig zu machen.

Nachhaltigkeit ist mehr als Klimaschutz

Mir geht es bei meiner Arbeit nicht allein um den Umweltschutz. Wenn ich Vereine, Verbände oder Ligen berate, zählt für mich ein ganzheitlicher Ansatz. Es geht auch um die soziale Komponente, um die Werte, die wir mit dem Sport vermitteln. Es geht um Inklusion und Gleichberechtigung. Und um Wirtschaftlichkeit. Es ist ganz wichtig, dass die Veranstalter auch hier nachhaltig denken und planen. Viele verausgaben sich finanziell und das will ich mit meiner Arbeit verhindern.

Aktuell arbeite ich mit den European Championships Munich 2022 zusammen. Das wird ein tolles Festival des Sports, bei dem im kommenden Jahr in neun Disziplinen vom Klettern über die Leichtathletik und das Kunstturnen bis zum Tischtennis die europäischen Meisterschaften zeitgleich in München ausgetragen werden.

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Aus Siegerpodien werden Plastikflaschen

Unsere Nachhaltigkeitsstrategie hat sechs Fokusthemen: Wir nutzen die Spielstätten der Olympischen Spiele von 1972 und vermeiden so Neubauten. Temporäre Bauten werden gemietet, wiederverwendet oder recycelt. So werden aus Siegerpodien zum Beispiel Plastikflaschen und gekaufte Sportgeräte spenden oder verkaufen wir an Schulen oder Sportvereine. Wir wollen während des Events einen klimaneutralen Verkehr. Deswegen ist jedes Ticket auch ein Ticket für den öffentlichen Verkehr. Und wir fördern das Radfahren. Bewegen sollen sich nicht nur die Sportlerinnen und Sportler, sondern auch die Besucher sollen motiviert werden, mehr Sport zu machen. Außerdem wollen wir so wenig Müll wie möglich kreieren und eine sehr hohe Recyclingquote erreichen. Die Stadt und das lokale Gewerbe sollen von dem Event profitieren. Und wir legen Wert darauf, dass auch Menschen mit Handicap überall Zugang haben.

Dies sind viele kleine Maßnahmen, die für die Besuchenden am Ende sichtbar und fühlbar sind. Meine Arbeit dafür hat früh begonnen. Denn nur eine frühzeitige Integration in die Organisation und in die Vorbereitungen des Events ermöglichen, dass am Ende diese Maßnahmen umgesetzt werden können. Vieles muss von Beginn an mitgedacht und integriert werden. Ein Event ist immer mehr als die paar Wettkampftage, bei denen die Sportlerinnen und Sportler auf der Bahn stehen.

Jeder Schritt zu mehr Nachhaltigkeit im Sport ist wichtig

Außer mit den European Championships Munich arbeite ich dauerhaft mit der Zweiten Deutschen Eishockeyliga (DEL2) zusammen, um Weiterentwicklungen in die Liga zu bringen, deren Business-Club auszubauen und ein Netzwerk entstehen zu lassen, welches die Liga stärkt und weiterbringt. Zugang zu Wissen aus der Wirtschaft zu bekommen, von Innovationen zu erfahren und ehrliches Feedback zu erhalten, ist uns dabei extrem wichtig. Hier spreche ich auch oft mit Startups, die anfragen, um die DEL2 als „Testzentrum“ im Profisport zu nutzen.

Ich bin der Meinung, dass jeder Schritt und jeder Anfang hin zu mehr Nachhaltigkeit im Sport wichtig ist. Deswegen freue ich mich, dass ich noch weitere Projekte im Spitzensport betreuen kann. Ich sehe, dass inzwischen auf allen Ebenen viel diskutiert, überlegt und abgewogen wird. Selbst wenn nur ein Bruchteil der Maßnahmen kurzfristig in die Tat umgesetzt wird.

Nachhaltigkeit im Sport muss bei allen Entscheidungen mitgedacht werden

Für mich ist vor allem die strategische Ausrichtung wichtig. Nachhaltigkeit muss bei allen Entscheidungen in einer Organisation mitgedacht werden. Das ist der Schlüssel zum Erfolg. Einzelne Projekte und Maßnahmen, die zwar medial gut greifbar sind, haben langfristig weniger Auswirkungen, als strukturelle, strategische und authentische Veränderungen hin zu mehr Nachhaltigkeit.

Besonders stechen hier die Forest Green Rovers aus England hervor, die wirtschaftlich extrem gewachsen sind, weil sie sich in einer Gänze und Konsequenz wie sonst niemand der ökologischen Nachhaltigkeit verpflichtet haben. In Deutschland engagiert sich der FC St. Pauli nachvollziehbar und authentisch im sozialen Bereich und hat nun durch den Druck der Mitglieder eine Frauenquote eingeführt.

Ich überrede niemanden zu Nachhaltigkeit, der das gar nicht will

Bei dem Versuch, im Sport die Nachhaltigkeit voranzubringen, sehe ich meine Generation, die Generation Y, und alle Generationen, die nach mir kommen, als meine größten Verbündeten. In meinem Alltag muss ich oft aufzeigen, warum Nachhaltigkeit kein Nice-to-have ist, sondern ein Must-have. Da hilft es, auf die jungen Generationen und deren Lebensphilosophie verweisen zu können.

Ich weiß, dass ich noch viel Pionierarbeit leisten muss. Dies war mir von Anfang an bewusst. Aber ich konzentriere meine Kraft auf die Entscheiderinnen und Entscheider, die von sich aus etwas verändern wollen, die das Thema verstanden haben und etwas bewirken möchten. Ich hab immer gesagt, dass ich keine Kraft habe, jemanden zu mehr Nachhaltigkeit zu überreden, der das gar nicht will. So handhabe ich dies auch jetzt noch.

Trotzdem kann ich feststellen, dass sich im vergangenen Jahr extrem viel getan hat. Das Wissen um die Bedeutung der Nachhaltigkeit im Sport, um die Weiterentwicklung der Gesellschaft und die Verantwortung für gesellschaftliche Themen ist exponentiell gestiegen. Ich sehe, dass wir an einem Punkt sind, wo sich niemand mehr öffentlich gegen mehr Nachhaltigkeit positionieren kann.

Ich renne deshalb noch keine offenen Türen ein. Aber ich kann sagen, dass mir die Türen überall geöffnet werden und sie niemand mehr von innen zu hält.

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