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Botten, Bauern, Bürger: Warum protestieren die Bauern in Holland?

In den Niederlanden tobt ein Konflikt zwischen Landwirten und Regierung. Erste Schüsse fallen. Was ist passiert, warum protestieren die Bauern in Holland?
Verärgerte Bauern: In Holland ist schon von Bürgerkrieg die Rede. (Chris Ensminger)
Verärgerte Bauern: In Holland ist schon von Bürgerkrieg die Rede. (Chris Ensminger)

Seit Tagen wogen in den Niederlanden die Proteste. Selbst eine Sondersitzung des Parlaments konnte die Wogen nicht glätten. Aber warum protestieren die Bauern in Holland? Antwort: Die Regierung des liberalen Ministerpräsidenten Mark Rutte will den Stickstoffeintrag aus der Landwirtschaft radikal kürzen. Notwendig für die Umwelt, beharrt die Regierung. Doch die Bauern fürchten um die Zukunft von einem Drittel der Höfe des Landes.

Eine zentrale Figur bei den Protesten ist Caroline „Lientje” van der Plas. Die 52-Jährige arbeitete als Agrarjournalistin. Zu Besuch bei ihrer Nichte in Irland entdeckte die Tochter eines Niederländers und einer Irin vor sieben Jahren die Macht von Social Media. Unter @lientje1967 lässt sie die Landwirte direkt zu Wort kommen. Ihr Credo: „Erzähl deine Geschichte. Sonst machen es andere. Dann liegst du schnell zehn zu null zurück.”

Warum die Bauern in Holland protestieren: Land gegen Stadt

Vor drei Jahren gründet van der Plas, die ehemalige Christdemokratin, eine neue Gruppierung: Bauer.Bürger.Bewegung. Keine Bauernpartei, sondern eine Stimme für das flache Land. 2021 zog sie erstmals ins Parlament ein. Einen gemeinsamen Auftritt mit Agrarminister Henk Staghouwer lehnte sie kürzlich ab: „Keine gute Idee. Liberale wirken auf Bauern wie ein rotes Tuch.” Van der Plas macht ihr Ding alleine. In Holland formiert sich auf dem platten Land gerade ein Aufstand gegen die liberale Elite in Den Haag und Amsterdam. Auch deshalb legen die Landwirte die Logistikzentren von Aldi, Albert Heijn & Co. lahm. Sollen sie doch sehen, wo die Milch herkommt für den Latte Macchiato in den Metropolen.

Das Problem: Der Stickstoff

Die chemische Formel ist kurz – N2. Als solcher macht Stickstoff rund 80 Prozent der Luft aus, als solcher kann er aber nicht aufgenommen werden von den Pflanzen – sondern vornehmlich in Form von Nitrat (N03-) oder Ammonium (NH4+). Die künstliche Herstellung von Ammoniak wurde im vergangenen Jahrhundert noch gefeiert. 1919 erhielt Fritz Haber für die bei der BASF im pfälzischen Ludwigshafen erprobte Haber-Bosch-Synthese noch den Chemie-Nobelpreis. Kunstdünger sollte die Welt ernähren.

Längst landet aber zu viel Stickstoff über Düngemittel in der Umwelt. Ammoniak fördert zum einen Treibhauseffekte, zum anderen führt Überdüngung zur Versauerung der Böden und zu Algenwachstum in Gewässern. In den Niederlanden stammen rund 60 Prozent des Stickstoffeintrags aus der Landwirtschaft, rund 20 Prozent aus dem Verkehr (den Rest liefern Industrie und Private). Auch deshalb handelt die Politik. In Gebieten mit hohem Stickstoffeintrag ist Landwirtschaft künftig verboten. Vor allem rund um Naturschutzgebiete sollen Höfe schließen.

In Umfragen kommt van der Plas’ Partei auf 18 Sitze, drei weniger als die Regierungspartei von Premier Rutte. Eine Momentaufnahme. Aber die Niederlande kennen solche Phänomene. Die Unruhe steckt im System, seit Jahren. Manche Protestbewegungen sind flüchtig wie die Partei Pim Fortuyns. Andere bleiben wie Geert Wilders. Der versucht vergeblich sich den Landwirten anzubiedern. Wenn man verstehen will, warum die Bauern in Holland protestieren, lohnt sich ein Blick auf folgende Personen:

Der parlamentarische Arm: Caroline van der Plas

Caroline van der Plas ist der parlamentarische Arm der Bewegung. Und hat ein Problem: Der Bewegung droht eine Übernahme von rechts. Aus dem Agraraufstand kann rasch ein Aggro-Aufstand werden. Auch deshalb ist die Politik nervös. Eine Sonderdebatte hat die Furcht nur vergrößert. Van der Plas rief zur Mäßigung auf. Aber die Bauern folgen ihr auch nicht mehr. Im friesischen Leeuwarden schoss die Polizei auf einen jungen Treckerfahrer, als er in Gewahrsam saß, versuchten 16 Bauern den Jungen zu befreien. Rechte Splittergruppen rufen im Netz zum Bürgerkrieg auf. Der Konflikt hat sich verselbstständigt.

Der Minister: Henk Staghouwer

Henk Staghouwer, 60, leitet zwar das Agrarressort. Der ehemalige Besitzer einer Bäckereikette hat das Problem aber nur geerbt. Schon 2019 ermahnte Hollands oberstes Gericht die Politik zum Handeln. Jetzt erst legte die Regierung ihr Gesetz vor. Um 50 Prozent muss der Stickstoffeintrag aus Gülle, Mist und Dünger demnach runter, der Bestand an Schweinen und Milchvieh soll um ein Drittel sinken. Jedem dritten Hof droht das Aus, fürchten die Landwirte.

Stickstoffministerin Carolinne van der Waal meidet die Öffentlichkeit, seit wütende Landwirte ihr Anwesen stürmten. Staghouwer hält am Stickstoffprogramm der Regierung fest, geht aber wenigstens auf die Landwirte zu. Ein Gesprächsangebot hat er unterbreitet. Ein erster zarter Versuch zum Dialog.

Der Vermittler: Johan Remkes

Die Lage nun klären soll Johan Remkes, 71. Premier Rutte berief den Ex-Innenminister zum Unterhändler. Remkes hat schon manchen Konflikt gelöst. Nach der Ermordung von Pim Fortuyn 2002 beruhigte er das Land, im Vorjahr führte er die Koalitionsverhandlungen zurück zum Erfolg. Nun soll er mit den Landwirten verhandeln. Doch die lehnen ihn rundweg ab. Zu alt. Und aus Ruttes eigener Partei. Rasch machten Bildmontagen die Runde. Sie zeigten Remkes als Emissär auf dem Wiener Kongress. Der tagte vor mehr als 200 Jahren. Ein Mann des alten Systems. Wird schwer mit dem Reden.

Die Protestierer

Der Aufstand kommt in Holzschuhen daher. Was den Gelbwesten die Signaljacke und den Querdenkern der fehlende Mundschutz, sind dem demonstrierenden niederländischen Landwirt seine Botten. Überraschend viele junge Frauen sind unter den Demonstranten. Der alte weiße Mann sitzt bei diesem Konflikt eher in Brüssel.

Die Botten stehen für die kulturelle Dimension des Konflikts. Das flache Land sehnt sich nach einer Welt von gestern. Sendungen wie „Bauer sucht Frau” florieren in den Niederlanden. In einer unübersichtlichen Welt von Krieg und Globalisierung stehen die Botten für die tiefe Verankerung auf Boden und gestern.

Von Anywheres und Nowheres spricht der Politologe Ivan Krastev. Die einen pendeln zwischen Amsterdam und London, die anderen zwischen Haus und Stall. Zwischen beiden Welten ist der Gesprächsfaden gerissen. Die Pandemie hat das nur noch verstärkt. Die einen sitzen im Homeoffice, die anderen auf dem Trecker.

Seit dieser Woche hat der Protest auch ein Gesicht: Jouke, 16, Landwirtssohn. Joukes Trekker wurde bei Protesten von Polizeikugeln getroffen. Kurz saß er in Gewahrsam. Jetzt ist er frei und ein Medienstar. „Ein paar Zentimeter weiter und ich wäre tot”, sagte er der Zeitung „De Volkskrant”. Die sozialen Medien feiern ihn als Helden. In gewisser Weise ist Jouke das ländliche Gegenstück zu Greta Thunberg.

Die Gegenbewegung: Nachhaltiger Ackerbau

„Stadt.Land.Frust” hat der Politologe Lukas Haffert sein neues Buch genannt. Er wehrt sich gegen falsche Schuldzuweisungen, egal von welcher Seite. Seine Einschätzung: „Entschärfung durch die politischen Eliten scheint mir der hoffnungsvollere Ansatz zu sein als nur allein auf den Ausbau der Infrastruktur zu hoffen.” Mit Geld und Glasfaser für das Land allein ist es nicht getan.

Nun formiert sich eine Gruppe von grünen Bauern. Mit nachhaltigem Ackerbau wollen sie die Landwirtschaft im Land retten. So soll die Mehrwertsteuer auf Bioprodukte fallen, der Staat soll Höfe beim Übergang zum nachhaltigen Anbau fördern. Ihr Credo: Weg von Wassertomate und Billiggurke. „Die Niederlande müssen wieder Vorbild werden.”

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