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„Wir wollen keinen bremsenden Staat mehr”

Christian Dürr ist FDP-Fraktionsvorsitzender im Bundestag. Ein Gespräch über Klimaschutzpläne, Wahlrechtsreformen und Ziele für die Migrationspolitik.
Christian Dürr, FDP-Fraktionsvorsitzender im Bundestag. (Foto: Tobias Koch)
Christian Dürr, FDP-Fraktionsvorsitzender im Bundestag. (Foto: Tobias Koch)

Christian Dürr ist FDP-Fraktionsvorsitzender im Bundestag. Ein Gespräch über Klimaschutz, Wahlrechtsreformen und die Migrationspolitik der Ampel-Koalition.

Herr Dürr, Sie sind seit Dezember Fraktionsvorsitzender der FDP im Bundestag. Bei 92 Abgeordneten ein anspruchsvolles Amt. Wie sehr schmerzt es Sie, den Finanzpolitiker hintan stellen zu müssen?

Ich genieße es durchaus, nun in alle Themen hineinblicken zu dürfen. Zudem habe ich diese Generalistenaufgabe schon in der Niedersachsen-FDP machen dürfen. Jetzt also in der Bundespolitik. Als politischer Mensch kann ich sagen: Das macht mir Spaß.

In der Ampel ist die FDP für Finanzen, Justiz, Verkehr und Wissenschaft zuständig. Drücken sich die Liberalen vor der Verantwortung für die klimapolitische Transformation?

Nein, im Gegenteil. Christian Lindner hat sein Finanzministerium als Ermöglichungsministerium bezeichnet. Eins ist doch klar: Wir werden die ökologische Transformation nicht allein aus Steuermitteln finanzieren. Unser Ansatz ist marktwirtschaftlich: Die FDP will gute Rahmenbedingungen schaffen, damit sich private Klimainvestitionen lohnen.

Das Thema Klima verbindet natürlich diese Koalition. Trotzdem sehen die Bürgerinnen und Bürger vor allem die Grünen in der Macherrolle. Ist das denn günstig für die FDP?

Wir sind als Ampel insgesamt in der Verantwortung. Das eine sind die Fachministerien, das andere ist die marktwirtschaftliche Umsetzung. Das geht nur miteinander.

 

„Wir wollen wieder in den Bereich von etwa 600 Abgeordneten kommen.”

Zur Parlamentsarbeit: Die Wahlrechtsreform ist eine endlose Geschichte, das Plenum wird immer größer und teurer. Was planen Sie, um den Wählern zu zeigen, dass Abgeordnete reformfähig sind?

Das ist ein Thema gleich für dieses erste Jahr. In der letzten Wahlperiode ist die Verkleinerung des Bundestages ja ganz klar an der CSU gescheitert. Als FDP-Fraktionsvorsitzender lade ich die Union deshalb ausdrücklich ein, diesmal bei der Wahlrechtsreform mitzumachen. Mein Ziel ist ein breiter Konsens.

Wie soll der aussehen?

Als Freie Demokraten und Grüne haben wir schon in der letzten Wahlperiode einen Reformvorschlag gemacht. Das könnte die Gesprächs-Basis sein. Wenn wir diesmal die Union, vor allem die CSU, nicht ins Boot bekommen, müssten wir es ohne sie machen. Aber das ist nicht mein Ziel.

Um wieviel sollte denn das Parlament schrumpfen?

Wir wollen wieder in den Bereich von etwa 600 Abgeordneten kommen. Aktuell sind es 736. Aber da braucht es sicher Kompromissbereitschaft, um einen breiten Konsens zu schaffen.

 

„Wir wollen keinen bremsenden Staat mehr.”

Freuen Sie sich schon auf Friedrich Merz als deren neuen Fraktionsvorsitzenden?

Ich freue mich immer über neue Kollegen in gleicher Funktion.

Rechnen Sie mit einer neuen Härte der größten Oppositionsfraktion?

Ich bin ja selbst kein Kind von Traurigkeit in der politischen Auseinandersetzung. Solange das fair abläuft, ist alles gut. Das Parlament ist die Herzkammer der Demokratie, wie es so schön heißt, und der Raum des Diskurses. Da muss es unterschiedliche Meinungen geben. Die müssen wir austragen.

Was sind die wichtigsten Projekte Ihres ersten Arbeitsjahres?

Wir werden wie gesagt beim Thema Klimaschutz die Rahmenbedingungen setzen. Auch das Thema Planungsbeschleunigung ist sehr wichtig. Wir wollen keinen bremsenden Staat mehr. Und als drittes würde ich die Frage stellen: Wie werden wir ein modernes Einwanderungsland, damit wir unseren Wohlstand halten können.

Wie schnell soll das gehen?

Wir sind noch in der Vorhabenplanung, da bitte ich um etwas Geduld. Aber wir sind zügig gestartet und so werden wir auch weitermachen. Eins ist mir dabei wichtig: In der Großen Koalition wurde sich öffentlich gestritten und nichts entschieden. Wir wollen das anders machen. Wir wollen intern Projekte absprechen, um schnell ins Tun zu kommen.

„Migration ist ein Mittel, unseren Wohlstand zu erhalten.”

Wollen Sie die Einwanderungspolitik so verändern, dass jährlich die 400.000 Leute zu uns kommen, die Wirtschaftsforscher für nötig halten?

Das ist eine realistische Zahl. Ich möchte aber betonen, dass es dabei um Einwanderung in den Arbeitsmarkt geht, nicht in die soziale Sicherung. Wir sollten uns ein Beispiel nehmen an erfolgreichen Einwanderungsländern wie Kanada, Neuseeland und Australien.

Das ist eine beträchtliche Größenordnung. Fürchten Sie nicht radikale Ablehnung durch Teile der einheimischen Bevölkerung?

Im Gegenteil! Überwiegend nehme ich Zustimmung wahr. Wir sind ein weltoffenes Land. Außerdem brauchen wir so viele zusätzliche Arbeitskräfte. Sonst drohen unserem Sozialsystem massive Probleme. Immer weniger aktive Beschäftigte müssten mehr Rentner finanzieren. Migration ist ein Mittel, unseren Wohlstand zu erhalten.

„In erster Linie werden private Unternehmen die ökologische Transformation finanzieren.”

Der Bundestag hat einen Nachtragshaushalt abgesegnet: 60 Milliarden Euro nicht benötigter Kredite werden aus 2021 in dieses Jahr verschoben. Trotzdem reicht die Summe vermutlich nicht, um die im Koalitionsvertrag geplanten Investitionen zu finanzieren. Wie wollen Sie weitere Mittel mobilisieren?

Für die FDP steht im Vordergrund, die Steuerzahler nicht weiter zu belasten – eher das Gegenteil. Deswegen sollten wir die EEG-Umlage für Ökostrom, die die Privathaushalte und Firmen bezahlen, schon diesen Sommer komplett abschaffen. Insgesamt plädieren wir dafür, mit dem Geld auszukommen, dass dem Staat zur Verfügung steht. 60 Milliarden Euro sind ein großer Betrag, mit dem sich umfangreiche Investitionen des Privatsektors auslösen lassen. In erster Linie werden private Unternehmen die ökologische Transformation finanzieren.

Wollen Sie die Schulden-Obergrenze der Deutschen Bahn AG erhöhen, die gegenwärtig bei 32 Milliarden Euro liegt?

Über solche Dinge werden wir mit den Koalitionspartnern sprechen.

400 Millionen Euro erhält Bremen jährlich von Bund und Ländern. Kann der hoch verschuldete Stadtstaat sicher sein, dass diese Mittel auch in den kommenden Jahren fließen?

Ich bin Fördermitglied bei Werder Bremen – und ein großer Freund des Landes. Gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass Bremen aus sich selbst heraus mehr Kraft entfalten könnte.

Lesen Sie auch: FDP-Finanpolitiker: „40 Prozent Staatsquote sollten eigentlich reichen” (21.1.2022)

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