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Echtes Commitment durch echte Integrität

Wie Chefs ihre Beschäftigten an sich binden und Loyalität sogar über die Kündigung heraus erreichen. Ein Rezept gegen Fachkräftemangel.
Ein Geheimnis guter Chefs: Echte Integrität schafft echtes Commitment der Beschäftigten. (Foto: Kelly Sikkema)
Ein Geheimnis guter Chefs: Echte Integrität schafft echtes Commitment der Beschäftigten. (Foto: Kelly Sikkema)

Immer wieder erlebe ich, dass mir Manager gegenübersitzen und berichten, dass wieder jemand vor der versammelten Mannschaft fertiggemacht wurde. Und niemand hat eingegriffen. Auch nicht er oder sie selbst. Niemand hatte den Mut zu sagen: „Moment mal, wir stehen hier doch für Wertschätzung!“ Dabei käme es gerade darauf an.

Das Randstad Arbeitsbarometer für das erste Halbjahr 2022 zeigt einen neuen Tiefpunkt in Sachen Loyalität: 67 Prozent der Beschäftigten wären demnach bereit, innerhalb der nächsten sechs Monate ihren Arbeitgeber für eine neue Stelle zu verlassen. Bei der „Generation Z“ sieht es noch düsterer aus. In Zeiten fehlender Fachkräfte sollte das Unternehmen und ihren Führungskräften zu denken geben. Viele versuchen auch bereits, immer mehr Anreize zu schaffen mit flexiblen Arbeitszeiten, Workations und Teamevents.

Das ist berechtigt und wichtig, aber meist nicht entscheidend. Denn bei jedem zweiten Jobwechsel gibt es laut eines Gallup-Reports einen engen Zusammenhang mit der problematischen Arbeitsbeziehung zum Chef. Darin liegt aber auch die gute Nachricht: Das heißt, dass Führungskräfte einen großen Einfluss auf die Loyalität der Beschäftigten haben. Echtes Commitment bekommt man aber nicht durch Goodies, sondern durch Integrität.

Die Autorin

Birgit Kersten-Regenstein begleitet mit ihrem Unternehmen Teamkompetenz seit über 15 Jahren Führungskräfte in ihrer Kompetenzentwicklung, moderiert Teams, die sich in die Sackgasse manövriert haben, und unterstützt Menschen, ihre Resilienz, ihre innere Unabhängigkeit und ihre Integrität zu stärken. Denn gute Führung braucht ihrer Erfahrung nach vor allem eins: Persönlichkeit. Zu ihren Kunden zählen namhafte Unternehmen wie Dr. Oetker, Miele, s. Oliver oder die Deutsche Bahn.

Die studierte Politikwissenschaftlerin befasste sich bereits in ihrer Abschlussarbeit mit internationaler Konfliktforschung und Peacemaking Strategies – Kersten-Regensteins Big Picture und Schablone für das Miteinander im Arbeitsalltag. In ihren Trainings und Coachings arbeitet sie mit in der ReflACTOR_Methode© ausgebildeten Seminarschauspielern, die das Verhalten der Teilnehmenden unmittelbar spiegeln und für eine steile Lernkurve sorgen. Birgit Kersten-Regenstein hält außerdem Vorträge zu Führungsthemen und bietet Onlinekurse zu Krisenfestigkeit, Souveränität und Führungsessentials an.

Wir müssen Integrität als Wert in Unternehmen wieder einen größeren Stellenwert einräumen

Warum ist Integrität so entscheidend? Mit Integrität werden Werte in Verbindung gebracht wie Anständigkeit, Ehrlichkeit, Rechtschaffenheit, Wertschätzung und Verlässlichkeit. Integer zu sein, bedeutet, unbestechlich zu sein. Ich glaube nicht, dass irgendjemand denkt: „Das sind aber schlechte Werte oder Eigenschaften. Was haben die denn in unserer Arbeitswelt zu suchen?“ Und trotzdem scheint Integrität dort nicht weit verbreitet zu sein. Sieben Prozent der Befragten gaben in einer Umfrage für „Wirtschaft und Politik“ an, dass sie nicht wissen, ob ihre Unternehmensführung mit einem hohen Maß an Integrität arbeitet. 16 Prozent erklärten immerhin, dass sie das regelmäßig tut – was auch immer „regelmäßig“ bedeuten mag. Denn es gibt eigentlich keine Grauschattierungen. Entweder man ist integer und steht für die eigenen Werte ein – oder eben nicht.

Das Gegenteil von Integrität ist Korruption. Wenn die Angestellten davon ausgehen, dass ihre direkten Vorgesetzten nicht integer handeln, nehmen sie gleichzeitig an – wenn auch unbewusst -, dass sie korrumpierbar sind. Führungskräfte müssen deshalb integer sein, wenn sie gute Beschäftigte gewinnen und an die Unternehmen binden wollen. Gleichzeitig ist das auch gesellschaftlich relevant, denn Führungskräfte fungieren immer als Vorbild für ihre Angestellten – ob sie wollen oder nicht. Dieser für unsere demokratische Gesellschaft wichtige Wert wird so von der Wirtschaftswelt in andere Lebensbereiche getragen.

Wie wir uns durch die Schweigespirale korrumpieren lassen

Was diesem erstrebenswerten Ziel immer wieder in die Quere kommt, ist die eingangs erwähnte Schweigespirale. In kritischen Situationen kneifen viele Menschen weg, obwohl der Großteil des Teams die gleichen Werte teilt wie sie selbst. Sie überlassen damit der Minderheit die Hoheit über die Konversation.

In unserer menschlichen Grundausstattung haben wir ein Gespür dafür, was um uns herum – in unseren Teams und Cliquen oder den sozialen Medien – gesagt, für gut befunden oder verworfen wird. Je mehr wir dazu gehören möchten, desto weniger äußern wir das, was gegen die vermeintliche Mehrheitsmeinung steht. Dadurch formulieren wir immer seltener unsere eigentliche Meinung zu den diskutierten Themen bis wir irgendwann gar nichts mehr dazu sagen. Dadurch wird nicht mehr gehört, wofür wir eigentlich stehen wollen.

Doch nur, wenn wir für unsere Werte und Meinung einstehen, sind wir sichtbar, relevant und laden zum Commitment ein. Zu einer Loyalität zu den gleichen Werten, zu denen wir verlässlich und berechenbar stehen.

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Integrität braucht Eier

Ob jemand wirklich integer ist, zeigt sich vor allem in harten Zeiten. Führungskräfte, die in solchen Situationen nach einem Wertekompass handeln, gewinnen den Respekt und die Anerkennung ihrer Beschäftigten. Ich habe schon erlebt, dass die Loyalität von Mitarbeitern sogar über ihre Kündigung hinausging. Obwohl die Führungskraft sie vor die Tür setzen musste, waren sie für die Zeit, die sie mit ihr arbeiten durften, dankbar und haben die Ehrlichkeit und Verlässlichkeit bis zu dem Punkt geschätzt.

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Für alle, die nun gewillt sind, Schweige-Mechanismen im eigenen Unternehmen und im Umfeld zu durchbrechen, habe ich das Bild der drei Eier der Integrität entworfen. Denn zwei reichen dafür nicht aus. Beim ersten Ei geht es um den Kern, um das Eigelb. Güteklasse A bekommt nur das Ei, das sich im Kern nicht verändert, also Menschen, die eindeutig bleiben und sich ihrer Werte bewusst sind. Hier ist Reflexion angesagt.

Konsequent in allen Bereichen

Beim zweiten Ei wird das Eiweiß untersucht. Folgen auf die Worte und die innere Überzeugung auch Taten oder hält man sich ein Hintertürchen offen? Konkret bedeutet das, dass ein Ja ein Ja und ein Nein ein Nein bleiben sollte. Auch wenn Ihre Angestellten oder auch Kollegen Ihr Nein vielleicht zunächst stört, sorgt es langfristig doch dafür, dass Sie allen Verlässlichkeit und Stabilität bieten. Das ist tausendmal besser als zu versuchen, es allen recht zu machen, denn das wird ohnehin nicht gelingen.

Das dritte Ei wirft die Frage auf, was es macht, wenn der Kühlschrank zu ist. Wird es zum Senfglas oder bleibt es ein Ei? Natürlich Letzteres! Machen Sie also Ihr Ding und leben Sie, wofür Sie stehen, in allen Bereichen Ihres Lebens – nicht nur in der Öffentlichkeit oder den sozialen Medien, sondern auch privat. Hören Sie auf rumzueiern! Dadurch schaffen Sie sich automatisch ein Umfeld, das im Kern die selben Überzeugungen hat wie Sie. Und Sie scharen Menschen um sich, die sich aufrichtig zu Ihnen und Ihren Zielen committen und auf die Sie sich langfristig verlassen können.

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