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Lebensmittelspekulation: Zocken mit Getreide

Finanzinvestoren haben Lebensmittelspekulation mit Getreide für sich entdeckt. Die Folgen: Preise steigen, Hungersnöte werden wahrscheinlicher.
Finaninvestoren nehmen mit Lebensmittelspekulationen Hungersnöte in Kauf. (Symbolbild: Vince Veras)
Finaninvestoren nehmen mit Lebensmittelspekulationen Hungersnöte in Kauf. (Symbolbild: Vince Veras)

Weizen wird rasant teurer auf dem Weltmarkt, Mais und Reis ebenfalls. Normalerweise ist das ein Zeichen von Knappheit, doch Experten zufolge ist genug der Grundnahrungsmittel vorhanden – trotz des russischen Angriffs auf die Ukraine. Der Verdacht: Investoren, denen es nur darum geht, Geld zu verdienen, treiben die Preise und nehmen dafür auch drohende Hungersnöte in armen Ländern in Kauf. Steigenden Preise sind eine direkte Folge der Lebensmittelspekulationen mit Getreide.

Schon im vergangenen Jahr stiegen die Preise für Getreide nach Zahlen der Welternährungsorganisation FAO um 17,3 Prozent. Hier schlugen sich vor allem höhere Preise für Energie und Dünger nieder. Seit Anfang 2022 betrug des Plus 42,2 Prozent. Nachdem Russland die Ukraine angegriffen hatte, ermittelte die FAO im März sogar ein Allzeithoch. Gleichzeitig erwartet die Welternährungsorganisation, dass 2022 rund 2,784 Milliarden Tonnen Getreide angebaut und 2,788 Milliarden Tonnen verbraucht werden. Eine Nahrungsmittelknappheit herrscht also nicht.

Lebensmittelspekulation mit Getreide: Geschäft mit Gewinnern und Verlierern

Allerdings wachsen Weizen, Mais oder Reis nicht immer dort, wo sie auch verbraucht werden. Zudem bauen wenige Länder große Mengen bestimmter Getreide an, der Welthandel wird von fünf Firmen dominiert, wie die Menschenrechtsorganisation Fian in einer Studie schreibt. Dazu kommt ein eher undurchsichtiger Markt.

Wer spekuliert, hat eine bestimmte Vorstellung für die Zukunft und richtet das Handeln danach aus. Eine Autofahrerin, die auf dem Weg zur Arbeit nicht tankt, weil sie glaubt, abends sei der Sprit günstiger, spekuliert genauso, wie ein Landwirt, der den Weizen, den er im August ernten will, bereits heute zu einem festen Preis verkauft, zu dem er dann im August liefern muss.

Entsprechende Termingeschäfte laufen an großen Handelsplätzen wie der Chicago Mercantile Exchange (CME), der größten Börse dieser Art. Die Geschäfte haben nicht nur Gewinner: Steigt der Getreidepreis bis August, hätte der Landwirt mehr verdienen können, als er jetzt mit seinem Vertrag bekommt. Fällt der Preis hingegen, kann der Landwirt teurer verkaufen.

Lebensmittelspekulationen mit Getreide werden problematisch, wenn Finanzinvestoren einsteigen

„Auch Lagerung ist eine Art Spekulation und seit Jahrtausenden bekannt: „Getreide nach der Ernte einzulagern, um es verkaufen zu können, wenn der Bedarf hoch ist und das Angebot niedrig, etwa zum Ende des Winters. Oder für schlechtere Zeiten”, sagt Lukas Kornher, Experte vom Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) an der Universität Bonn. Er beschäftigt sich seit Jahren mit dem Geschehen auf den sogenannten Commodities-Märkten. Spekulation sei für den Getreidemarkt wichtig. Die Produzenten können sich absichern, bereits jetzt einen Preis für einen Liefertermin in der Zukunft aushandeln.

„Problematisch wird es, wenn Finanzinvestoren einsteigen, die sich nicht an den Marktdaten orientieren, sondern Finanzmarktstrategien verfolgen, weil sie eine höhere Rendite erwarten als bei einer anderen Anlageformen”, sagt Kornher. „Es besteht das Risiko, dass dies gegenwärtig bereits die Preise treibt.” Bei der letzten großen weltweiten Nahrungsmittelkrise vor 15 Jahren hätten Finanzspekulanten aus Sicht des ZEF einen Anteil an Preisspitzen gehabt. Das lasse sich aber nicht direkt auf die heutige Lage übertragen.

Deutlicher ist IPES Food, ein Zusammenschluss von Experten mit Sitz in Brüssel. An der CME seien die Preise für sogenannte Getreide-Futures, Papiere für Getreidelieferungen in einigen Monaten, im März binnen neun Tagen um 54 Prozent gestiegen – trotz vergleichsweise gut gefüllter Lager weltweit. Die Experten ermittelten, dass mehr Geld an der CME investiert wurde, das Handelsvolumen stark stieg und damit auch der Anteil von Spekulanten in Weizen und Mais.

Russlands Krieg gegen die Ukraine begünstigt Spekulationen

Begünstigt wird die Lebensmittelspekulation mit Getreide von der Unsicherheit, die gerade herrscht und durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine befeuert wird. Russland ist nach Zahlen des US-Landwirtschaftsministeriums mit 16,4 Prozent Anteil der größte Weizenexporteur der Welt, vor der EU, Australien und der Ukraine. Die Ukraine ist hinter Argentinien und Brasilien die Nummer drei bei Mais (rund zwölf Prozent). Ob genug gesät und geerntet wird, ist unklar, ebenso, wie die Exporte wegen Krieg und Sanktionen laufen.

Hinzu kommt, dass fünf Konzerne sich den Welthandel weitgehend aufteilen: Die Familienunternehmen Cargill (USA) und Louis Dreyfus (Niederlande) sowie die börsennotierten Firmen Archer Daniels Midland und Bunge (beide USA) – die sogenannte ABCD-Gruppe. Dazu kommt der chinesische Staatskonzern Cofco. Vor allem die ABCD-Firmen sichern sich umfangreich an den Börsen ab. Und auch dort haben sie durch ihre Größe Macht.

Selbst für Experten ist der Weltmarkt in Teilen undurchsichtig, was Spekulation befördert: Wer wieviel wo gelagert hat, ist nur selten bekannt – weil Länder eigene Reserven anlegen und die Nachbarn nicht unbedingt wissen sollen, wo und wie viel. Gleichzeitig lagern die privaten Firmen auch Getreide ein, die Mengen sind wegen der Konkurrenz oft Firmengeheimnis.

Apropos Geheimnis: das meiste Ackerland in den Vereinigten Staaten besitzt Bill Gates – die Ankäufe geschahen häufig über kleinere Firmen. Mit derart großen landwirtschaftlichen Flächen könnte Gates die Forschung in Sachen Landwirtschaft in Form von Testfeldern weit voranbringen.

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