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Die Kraft der Provinz: Warum die Pfalz so viele profilierte Politiker hervorbringt

Dominik Geißler, Sohn des früheren Generalsekretärs Heiner Geißler, will OB in Landau werden. Viele Politiker kommen aus der Pfalz. Eine Spurensuche.
Idyllische Kulisse: Landau in der Pfalz. (Foto: Staatskanzlei RLP)
Idyllische Kulisse: Landau in der Pfalz. (Foto: Staatskanzlei RLP)

Wer in den 80er-Jahren sonntags in der südlichen Pfalz die kantigen Buntsandsteinfelsen erkletterte, konnte zwischen dem markanten Teufelstisch in Hinterweidenthal und dem mächtigen Rötzenfels nahe Gossersweiler mitunter ein bekanntes Gesicht entdecken: Heiner Geißler, damals noch CDU-Generalsekretär, machte sich auf dem Weg nach oben. Oft mit dabei: seine Familie. Es gebe keinen Felsen in der Gegend, den er nicht erklommen habe, erklärte Dominik Geißler, 57, zuletzt: Der Sohn der 2017 verstorbenen Unions-Größe hegt einen eigenen Gipfelplan. Er wechselt in die aktive Politik und kandidiert im Sommer im pfälzischen Landau für das Amt des Oberbürgermeisters. Er sei „unendlich glücklich” wieder hier zu sein, erklärte Geißler.

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Pfalz und Politik: Mehr Kabinettsposten als ganz Bayern

Politische Dynastien wie in den USA oder Frankreich sind in Deutschland eher unüblich. Zuletzt scheiterte Johannes Kretschmann, der Sohn des baden-württembergischen Ministerpräsidenten, auf dem Weg in den Bundestag. Umso mehr lässt die Kandidatur von Dominik Geißler aufhorchen. Der promovierte Musik- und Politikwissenschaftler machte im Schatten von Peter Altmaier Karriere. Erst als dessen Sprecher im Bundesumweltministerium, dann als Büroleiter im Kanzleramt und schließlich als Leiter des PR-Stabs im Wirtschaftsministerium. Nun steigt er selbst in die Politik ein, als Vertreter eines liberalen Flügels der Union, der in der neuen CDU unter Friedrich Merz deutlich an den Rand gerückt ist.

Hohe Politiker-Dichte in der Pfalz

Sein Vater Heiner Geißler (1930-2017) vertrat die Südpfalz als direkt gewählter Abgeordneter von 1980 bis 2002 im Bundestag. Die Region um die Uni- und Weinstadt Landau verfügt über eine einzigartige Dichte an Spitzenpolitikern. Parteiübergreifend. Parallel zu Geißlers Wirken stieg Kurt Beck zum rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten und zeitweisen SPD-Vorsitzenden auf. Der ehemalige FDP-Bundesminister Rainer Brüderle stammt ebenso von hier wie der Grünen-Vordenker Ralf Fücks und der rheinland-pfälzische Arbeits- und Digitalminister Alexander Schweitzer. Mit Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) und den beiden parlamentarischen Staatssekretären Thomas Hitschler (SPD, Verteidigung) und Tobias Lindner (Grüne, Außenamt) hat die Südpfalz in der Bundesregierung mehr Kabinettsposten inne als der gesamte Freistaat Bayern.

Politik in der Pfalz: „SPD ist hier im Bundesvergleich eher konservativ”

„Die südliche Pfalz und weithin auch Rheinland-Pfalz als Ganzes sind politisch eher mittig einzuordnen”, umschreibt Ulrich Sarcinelli das politische milde Klima in der Region. Der 75-jährige Politikwissenschaftler ist in der Pfalz geboren, er hat in Kiel gelehrt, ehe er Anfang der 90er-Jahre einen Ruf als Professor an den Campus Landau der Universität Koblenz-Landau annahm. Sarcinelli hat die Polit-Karrieren in der südlichen Pfalz aus der Nähe beobachtet. Seine Analyse: „Die SPD ist hier im Bundesvergleich eher konservativ, sonst könnte sie einer strukturkonservativen Region wie an Rhein und Mosel nicht über drei Jahrzehnte lang die Macht bewahren. Zugleich galt zumindest für Geißler – weniger für die hiesige Union – eine Positionierung deutlich links der Bundespartei.”

Pfalz als Gegenmodell zu Frankreichs Elitenrekrutierung

Dominik Geißler weiß das. Er ist hier aufgewachsen. Deshalb macht er erstmals auf Demut. Er sei „noch nicht der Fachreferent für das Ordnungsamt”, gestand Geißler jr. offen seine kommunalpolitischen Schwächen.Von einer „geliehenen Reputation” spricht Politikwissenschaftler Sarcinelli mit Blick auf den politischen Spätstarter Dominik Geißler. Der Name zieht, aber wohl eher in der CDU-Stammwählerschaft und in der Generation Ü40. „Das ist kein Selbstläufer”, warnt Sarcinelli. Der Wahlkreis 212 Südpfalz ist ein klassischer Wechselfall. Traditionell ist die landwirtschaftliche Gegend Stammland der CDU. Bei den letzten Kommunal- und Europawahlen lagen aber die Grünen in der Uni-Stadt Landau vorn, bei der Landtagswahl im Vorjahr die SPD. Das Direktmandat bei der Bundestagswahl eroberte der SPD-Bewerber Thomas Hitschler mit 41 Stimmen Vorsprung vor Thomas Gebhart von der CDU, auch er damals parlamentarischer Staatssekretär. Die südliche Pfalz garantiert nicht nur gute Weine, sondern stets auch politische Spitzenduelle.

Die Pfalz und die Politik: Von der Kraft der Provinz

Worin liegt das Erfolgsgeheimnis der südpfälzischen Politikerriege? Der Landauer Politologe Sarcinelli schaut rüber ins nahe Frankreich. Ohne Abschluss an den renommierten Elitehochschulen des Landes wie der ENA läuft da in Politik und Wirtschaft wenig. Von einer „sehr eindimensionalen Elitenrekrutierung” spricht Sarcinelli und sieht diesseits der Grenze das Gegenbeispiel. „Die südliche Pfalz steht für das Rekrutierungspotenzial der Provinz und für eine stärkere Basisnähe des deutschen Führungspersonals. Die Stärke liegt also – auch – in der Provinz. Nicht im Provinziellen.” Nicht nur in der Pfalz hören sie sowas gerne.

Deutsche Polit-Dynastien

Dominik Geißler, 57, kandidiert für die CDU in Landau für das OB-Amt. Sein Vater Heiner Geißler (1930-2017) war von 1977 bis 1989 Generalsekretär der CDU, er war bekannt für brillante Analysen und zugleich für seine heftigen Attacken gefürchtet. Nach dem Bruch mit Helmut Kohl warb Geißler für eine christlich-liberale Öffnung der Union. Zu seiner Beisetzung 2017 reiste auch Kanzlerin Angela Merkel in Geislers Wohnort Gleisweiler nahe Landau in der Pfalz.

Politische Dynastien sind in Deutschland – anders als in den USA – eher selten. Klaus Regling, Chef des Euro-Rettungsfonds ESM, ist Sohn des SPD-Bundestagsabgeordneten Karl Regling (1907-2003). Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling ist Enkel des ehemaligen CDU-Bundesministers Franz-Josef Wuermeling (1900-1986), bekannt für familienfreundliche Bahntickets, dem Wuermeling-Pass. Monika Hohlmeier, Tochter des bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß (1915-1988) wirkt erfolgreich für die CSU im Europaparlament.

Andere Karrierepläne scheiterten. So verfehlte Johannes Kretschmann, Sohn des baden-württembergischen Grünen-Ministerpräsidenten, im Vorjahr den Einzug in den Bundestag. Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, Enkel eines CSU-Bundestagsabgeordneten, zog sich nach entzogener Promotion aus der Politik zurück.

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