Während die Corona-Pandemie allmählich verebbt, steigt der Druck auf die Bundesregierung, grundsätzliche Konsequenzen aus den beiden vergangenen Jahren zu ziehen. Ein zentraler Punkt ist, die Zahl der Krankenpflegerinnen und Pfleger unter anderem auf den Intensivstationen der Krankenhäuser zu erhöhen. „Wir erwarten, dass bis zur Sommerpause ein entsprechender Gesetzentwurf vorliegt”, sagte Gerald Gaß, der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft.
Die Lage in der stationären Versorgung ist immer noch schwierig. Der Organisation zufolge sind augenblicklich „mindestens 25.000 Stellen” nicht besetzt – etwa sieben Prozent aller Vollzeitarbeitsplätze in der Krankenpflege, eine stark steigende Tendenz gegenüber 2021. Das Personal ist nach zwei Pandemiejahren erschöpft. Wenn jemand kündigt, dauert es
meist viele Monate, bis eine neue Pflegekraft gefunden ist. Wer weiterarbeitet, muss zusätzliche Aufgaben erledigen.
Es fehlen bis zu 80.000 Pflegekräfte
Hinzu kommt, dass der wirkliche Pflegebedarf nicht einmal dann gedeckt wäre, wenn die vorhandenen Krankenhäuser alle vorhandenen Stellen besetzen könnten. Viele Fachleute gehen davon aus, dass für eine vernünftige Betreuung der Kranken bis zu 80.000 zusätzliche Pflegekräfte nötig sind.
Diese Debatte findet vor dem Hintergrund statt, dass die Überlastung der Krankenhäuser während der Pandemie eine wichtige Begründung für die Beschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens darstellte. Schlechte Personalausstattung und Arbeitsbedingungen sind zweifellos Ursachen dieser Überlastung. Wie ließe sich also die Situation verbessern angesichts der Möglichkeit, dass Corona noch nicht zu Ende ist oder irgendwann die nächste Seuche kommt?
Personalmangel darf nicht mehr ignoriert werden
In ihrem Koalitionsvertrag vereinbarten SPD, Grüne und FDP Ende 2021 Verbesserungen. Der Schlüsselbegriff lautet „Pflegepersonalregelung 2.0 (PPR 2.0)”. Das ist eine Methode, die die Gewerkschaft Ver.di, der Pflegerat und die Krankenhausgesellschaft ausgearbeitet haben, um den tatsächlichen Personalbedarf auf einzelnen Stationen der Krankenhäuser zu ermitteln. Die Umsetzung „würde zu einem Mehrbedarf von 40.000 bis 80.000 Vollzeit-Pflegekräften führen”, sagte Michaela Evans vom Institut Arbeit und Technik der Hochschule Gelsenkirchen. Statt etwa 360.000 Vollzeit-Beschäftigten müssten bis zu 440.000 am Start sein.
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Augenblicklich passiert allerdings nicht viel. Das Bundesgesundheitsministerium arbeitet an seiner Planung für dieses Jahr. „Die Umsetzung der PPR 2.0 wird aktuell geprüft”, erklärte das Ministerium. Ob ein Gesetzentwurf zur Pflege dabei herauskommt, erscheint unklar. „Die Pflegepersonalregelung 2.0 muss zügig umgesetzt werden”, mahnte dagegen Krankenhaus-Chef Gaß. Der grüne Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen sah es ähnlich: „Der Personalmangel ist so eklatant, dass das Problem keinen Aufschub duldet.”
Beschäftigte stünden bereit – wenn die Bedingungen besser wären
Aber lässt sich das Problem überhaupt auf diesem Weg lösen? Ist der Arbeitsmarkt nicht leergefegt, sodass der Versuch scheitern muss? Nein, schreiben Evans und weitere Autoren der neuen Studie „Ich pflege wieder, wenn…” im Auftrag der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung. Die Umfrage unter aktiven und ausgestiegenen Pflegekräften ergab, dass mindestens 172.000 zusätzliche Vollzeitbeschäftigte zur Verfügung stünden, wenn die Arbeitsbedingungen akzeptabel wären.
Das heißt, die Pfleger verlangen mehr Zeit pro Patient, eine bessere Bezahlung und verlässliche, beziehungsweise familienfreundliche Arbeitszeiten. „In der Krankenpflege haben wir kein Arbeitsmarktproblem”, sagte Evans. „Die Politik müsste aber die Bedingungen verbessern, damit die Leute ihre Arbeitszeit verlängern oder eine Stelle neu antreten.”
Das würde Geld kosten. 80.000 zusätzliche Stellen schlagen in der Größenordnung von einer halben Milliarde Euro pro Jahr bei den Krankenhäusern zu Buche. Wie sollen die das finanzieren? Eine Variante ist ein höherer Zuschuss vom Staat, der angesichts sowieso steigender Anforderungen an den Bundeshaushalt jedoch problematisch erscheint.
Höhere Sozialbeiträge belasten die Arbeitnehmer und Firmen. „Allein zusätzliches Geld ins System zu geben, wird nicht reichen”, sagte Grünen-Politiker Dahmen. “Wir brauchen Strukturreformen und sollten auch Aufgaben wie Ausgaben umverteilen” – weniger teure Apparatemedizin und Diagnostik, mehr Pflege.