Zusammen mit seinem neuen Koch aus Kiew bereitet Michael Glas gerade das Mittagsessen vor. Der Miteigentümer des Grillrestaurants Kneshecke in der Nähe von Fulda hat mehrere Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen. „Vitali, seine Frau und die vier Kinder, wohnen jetzt in einem unserer Ferienbungalows”, sagt Glas.
Einerseits wollte der Restaurantbesitzer in der hessischen Rhön einfach Hilfe leisten, andererseits brauchte er einen Koch. Beides kommt nun zusammen. Wenn die Registrierung abgeschlossen sei – „wir warten noch auf die Steuer-ID” – soll der Kollege aus Kiew seinen Arbeitsvertrag erhalten, „zu tariflicher Bezahlung”. Glas würde sich freuen, wenn der neue Mitarbeiter bliebe. Aber das muss sich finden. Der Krieg in der Heimat, die Erlebnisse auf der Flucht, die ungewisse Zukunft – mit diesen schmerzhaften Themen will der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer erst einmal in Ruhe lassen. Mit dem Google-Übersetzer von Ukrainisch zu Deutsch sind solche Gespräche auch kaum möglich.
Fachkräftemangel in Deutschland
Die Situation in der Kneshecke ist vergleichbar mit der Lage im Land. Es geht um die Unterstützung der Ukraine und ihrer Bürger:innen. Aber Deutschland hat auch Eigeninteressen, die eine Rolle spielen. Unlängst plädierte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für die schnelle Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt. Ein Hintergrund dabei: Hunderttausende Stellen für Ärztinnen und Ärzte, Personal in der Krankenpflege, Lehrer oder Ingenieurinnen sind schon jetzt schwer oder gar nicht zu besetzen. Und künftig wird der Fachkräftemangel zunehmen.
Also stellen sich diese Fragen: Passen die Leute aus der Ukraine in den deutschen Arbeitsmarkt? Verfügen Sie über die Qualifikationen, die hier gebraucht werden? Migrationsexperte Thomas Liebig von der Industrieländer-Organisation OECD in Paris warnt zunächst: „Ich halte diese Debatte für zumindest verfrüht.” Er geht davon aus, dass die
meisten Geflüchteten bald wieder nach Hause zurückkehren wollten.
Anerkennung der ukrainischen Abschlüsse und Zeugnisse ist ein Problem
„Das Bildungsniveau der Bevölkerung in der Ukraine ist im internationalen Vergleich hoch”, sagt Migrationsforscher Herbert Brücker. Das scheint eine gute Voraussetzungen zu sein. Allerdings weist der Ökonomie-Professor der Berliner Humboldt-Universität daraufhin, dass
bisher zu wenige Informationen über die Zahl der Absolventen bestimmter Ausbildungsgänge, etwa medizinischer Berufe, in der Ukraine zur Verfügung stünden. Auch über die Qualität der Ausbildung dort lasse sich recht wenig sagen. Was ebenfalls bisher fehlt, seien genaue Angaben über die soziale Zusammensetzung der Geflüchteten.
Ein Problem, das bereits absehbar ist, betrifft die Anerkennung der ukrainischen Berufsabschlüsse und Studienzeugnisse in Deutschland. Denn einige Qualifikationen, bei denen sich hierzulande ein besonderer Mangel abzeichnet, gehören zu den sogenannten „reglementierten Berufen”. Darunter fallen beispielsweise Ärzte, medizinisches Pflegepersonal, Lehrer, Erzieherinnen, aber auch Ingenieure und manche Handwerksberufe.
Teilweise hohe Hürden bei Anerkennung von Fachkräften
In diesen Fällen müssen sich die Bewerber die „Gleichwertigkeit” ihrer Ausbildungen mit den deutschen Standards anerkennen lassen – eine oft hohe bürokratische Hürde. Und ohne Anerkennung dürfen sie nicht arbeiten. Dass es da eine Schwierigkeit auch im Hinblick auf die Ukraine gibt, hat Arbeitsminister Heil unlängst eingeräumt. „Die Ausbildungssysteme sind nicht eins zu eins vergleichbar. Da müssen wir schneller werden.”
Eine gemischte Nachricht kommt in dieser Hinsicht aus dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Bonn. Von rund 350 ukrainischen Anträgen auf Anerkennung als Arzt oder Ärztin wurden 2020 etwa drei Viertel genehmigt. Dagegen erhielten „von den rund 300 beschiedenen Verfahren zur Gesundheits- und Krankenpflege nur 38 Prozent eine volle
Anerkennung”, sagt BIBB-Expertin Claudia Moravek. Sie schränkt ein, dass diese Zahlen nicht als repräsentativ für die Berufsbildung in Ukraine betrachtet werden können. Denn die Arbeitsmigranten des Jahres 2020 wurden von Personaldienstleistern gezielt angeworben, um offene Stellen in hiesigen Krankenhäusern zu besetzen. Die Erfolgsaussichten in solchen
Fällen sind hoch. Wegen des Krieges kommen nun aber Hunderttausende, deren Ausbildungen nicht unbedingt zu den Stellenausschreibungen passen dürften.
Mehrheit der ukrainischen Fachkräfte müssen nicht anerkannt werden
Bei der Mehrheit der Berufe spielt die Anerkennungsprozedur jedoch keine Rolle – etwa bei Köch:innen. Die können einfach anfangen, wenn sie hier einen Arbeitgeber finden. So hat auch Stefan Faulstich, Chef des Landhotels Rhönblick bei Fulda, einen jungen Koch aus Kiew eingestellt. Wegen einer Ausnahmeregelung durfte der die Ukraine verlassen, ähnlich
wie der neue Koch in der Kneshecke. Auch Faulstich würde sich freuen, wenn der neue Mitarbeiter länger bei ihm bliebe, nicht nur für die Sommersaison.
Erhalten Sie unsere Highlights. Immer Samstags. Kostenlos.
Hier geht es zu mehr großartigen Geschichten von Journalistico.