Entwicklungsminister Gerd Müller ist bekannt für klare Botschaften. „Hunger ist Mord”, erklärte er am Mittwoch bei seinem vermutlich letzten Auftritt in der Bundespressekonferenz. Weltweit „sterben täglich 15.000 Kinder” an Unterernährung. Dieses Leid ließe sich verhindern, legte der CSU-Politiker nahe, wenn die Politik nur wollte.
Müller selbst wollte wirklich. Während seiner acht Jahre als Chef schaffte er erstaunliche Erfolge, etwa die ungefähre Verdoppelung der deutschen Ausgaben für staatliche Entwicklungsarbeit auf jetzt über 13 Milliarden Euro jährlich. Im Vergleich zu seinem Amtsvorgänger Dirk Niebel (FDP) und auch Kolleginnen und Kollegen der amtierenden Bundesregierung wie Andreas Scheuer, Julia Klöckner, Horst Seehofer oder Anja Karliczek erreichte er deutliche Fortschritte.
Das riesige Problem globale Gerechtigkeit
Aus den großen Widersprüchen kam aber auch Müller nicht heraus. So mahnte er wieder einmal eine „gerechte Welthandelsordnung” an, in der nicht die reichsten zehn Personen so viel Vermögen anhäufen können wie andererseits der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung zur Verfügung steht. In der Praxis scheiterten Bemühungen für mehr globale Gerechtigkeit jedoch auch an den Interessen der hiesigen Unternehmen, der Politik des Bundeswirtschaftsministers oder an Müllers eigenen Prioritäten.
So wies Dagmar Pruin, die Präsidentin der evangelischen Entwicklungsorganisation Brot für die Welt, daraufhin, dass auch Müller durchaus mehr dafür hätte tun können, ökologische und kleinteilige Landwirtschaft in ärmeren Staaten zu fördern als vornehmlich industrielle Agrarproduktion. Eberhard Brandes, Vorstand des Umweltverbandes WWF, lobte dagegen Müllers Leistungen als „Leuchtturm”.
Entwicklungsausgaben kommen nicht nur ärmeren Ländern zu Gute
Der präsentierte am Mittwoch seinen entwicklungspolitischen Bericht der vergangenen vier Jahre. Tatsächlich gehört zu den Erfolgen, dass das Ministerium erstmals eine internationale Verpflichtung einhielt, an der seine VorgängerInnen jahrzehntelang gescheitert waren. 2016 und 2020 stellte die Bundesregierung jeweils 0,7 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung als Entwicklungsausgaben zur Verfügung. Wobei zu dieser positiven Bilanz teilweise auch Mittel beitrugen, die nicht in arme Länder flossen, sondern in Deutschland etwa für Flüchtlingsunterkünfte ausgegeben wurden.
Die verstärkte Zahlungsbereitschaft kam nicht von ungefähr: Die große Einwanderung ab 2015 führte zum Bemühen der Regierung „Fluchtursachen zu bekämpfen” – positiv gewendet: Etwaigen Flüchtlingen ein erträgliches Leben in ihrer Heimat zu erleichtern, damit sie diese nicht verlassen müssen. Die Unterstützung für afrikanische Staaten wurde ausgebaut, Kanzlerin Angela Merkel und auch Müller setzten sich für den „Marshallplan für Afrika” ein. Der Kehrseite: Lateinamerika und Asien spiele für das Ministerium keine große Rolle mehr, kritisierte der grüne Entwicklungspolitiker Uwe Kekeritz.
Baustelle Finanztransaktionssteuer
Am Mittwoch forderte Müller, die Ausgaben für Entwicklungspolitik weiter anzuheben: „Deutschland muss auf ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts kommen.” Als eine Möglichkeit, die Finanzierung dafür zu sichern, betrachtet er die Einführung der Finanztransaktionssteuer, einer Umsatzsteuer auf internationale Finanzgeschäfte. Diese steht zwar auf europäischer Ebene seit Jahren auf der Tagesordnung, scheitert aber immer wieder an nationalen Vorbehalten einzelner Regierungen. Auch die deutsche hat sich bei dem Projekt nicht gerade hervorgetan. Kekeritz: „Müller hat ebenfalls nichts unternommen, um die Finanztransaktionssteuer durchzusetzen.”
Erfolg beim Lieferkettengesetz
Einen weiteren Erfolg verbuchte Müller mit dem Lieferkettengesetz. Denn im selben Jahr 2013, in dem er sein Amt antrat, brach in Bangladesch die Fabrik Rana Plaza zusammen. Mehr als 1.100 Arbeiterinnen und Arbeiter starben. Fortan wirkte die Katastrophe für den Entwicklungsminister als Sinngeber. Zuerst ließ er das Textilbündnis gründen, einen freiwilligen Zusammenschluss von Firmen, Entwicklungsorganisationen und Politik zur Verbesserung der Arbeitsverhältnisse in den Produktionsländern. Daraus entstand das staatliche Textilsiegel Grüner Knopf, welches mittlerweile an einigen Kleidungsstücken in den Geschäften zu finden ist.
Allerdings waren zunächst nur wenige Unternehmen tatsächlich bereit, die Zustände bei ihren Lieferanten zu verändern – etwa Kinderarbeit, Zwangsarbeit oder extrem niedrige Bezahlung. Zusammen mit Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) drohte Müller der Wirtschaft ein Gesetz an, das zu fairer Herstellung verpflichte. Viele Unternehmen und ihre Verbände wollten nicht glauben, dass es so weit kommt. Im Juni 2021 stimmte der Bundestag dem Lieferkettengesetz jedoch zu.
Müller wird Chef der UN-Organisation Unido
Nun wird der 66-jährige Müller seinen Weg bald als Chef der kleinen UN-Organisation Unido fortsetzen, die sich von Wien aus um industrielle Entwicklung kümmert. Der kommenden Bundesregierung riet er noch, das Entwicklungsministerium bloß nicht aufzulösen. In Verhandlungskreisen von SPD, Grünen und FDP wird wohl auch die Option erörtert, das Haus ins Auswärtige Amt zu integrieren.
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