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Was der Wahlkampf im Netz Politikern abverlangt

Bundestagswahl: Expertin Julia Reda über Strategien und Erfolgsrezepte im Online-Wahlkampf.
Julia Reda
Julia Reda

Die Pandemie verändert die politische Kultur. Die Wahlen im Frühjahr in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben es vorgemacht. Online-Formate erobern die politische Debatte. Im Herbst wird der neue Bundestag gewählt. Ein Gespräch mit der früheren Piraten-Politikerin Julia Reda über Straßenwahlkampf, Online-Debatten und wie die EU-Kommission digital endlich dazulernt.

Frau Reda, persönlicher Kontakt auf dem Marktplatz oder Chat im Internet – welche Wahlkampfart haben Sie in ihrer Zeit in der Politik mehr geschätzt?
Ich habe definitiv immer lieber Online-Wahlkampf gemacht, aber das hängt auch mit der Sonderrolle der Piratenpartei zusammen. Etablierte Parteien verfügen über mehr Personal und können sich geografisch aufteilen. Das war bei den Piraten anders. Wir hatten ein europaweit einheitliches Wahlprogramm, insofern bot sich die Online-Kommunikation an. Das Internet erreicht einfach sehr viele Menschen. Zudem ist die Kommunikation im Netz viel zielgruppenspezifischer. Auf dem Marktplatz müssen Politikerinnen zu allen Themen sprechfähig sein, im Internet lassen sich einfacher spezifische Themen erörtern.

Jetzt vor der Wahl des künftigen Bundestags: Was ist die Besonderheiten politischer Kommunikation im Netz?
Politische Kommunikation im Netz ist sehr viel zielgruppenspezifischer. Im Gegensatz zum Wahlkampfstand fehlt aber der menschliche Aspekt, gerade, wenn es um schriftliche Kommunikation geht. Auch sind im Netz die Hemmschwellen viel niedriger. Mir ist im Straßenwahlkampf zwar auch schon passiert, dass Menschen nur kommen, um Frust abzuladen. Aber das lässt sich im direkten Gespräch viel besser einfangen.

Julia Reda, 34, hat von 2014 bis 2019 die Piratenpartei im Europäischen Parlament vertreten. Danach arbeitete sie im Rahmen eines Forschungsstipendiums an der Harvard-Universität in den USA. Derzeit leitet sie bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte die Arbeitsgruppe “Control ©”.
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. kämpft mit rechtlichen Mitteln für die Grund- und Menschenrechte. Indem Sie vor Gericht Grundsatzentscheidungen erstreitet, will die Organisation das deutsche und europäische Recht menschlicher und gerechter machen.

Wo sehen Sie noch Chancen mit Blick auf politische Kommunikation und Reichweite? Twitch, ein Kommunikationstool der Gamer-Szene. Da liegt noch enorm viel Potenzial. Jeder spielt gern, da sind einfach enorm viele Menschen unterwegs. Mir ist die politische Kommunikation im Netz noch zu twitterlastig. Das eigentliche Erfolgsrezept auf Social Media ist Politiker menschlicher zu machen. Die Politikerinnen, die auf Social Media gut rüberkommen, sind die, die auch authentisch wirken.

Wie lassen sich Klicks eigentlich in Stimmen übersetzen?
Dazu habe ich zu wenig Daten, weil ich nur zu einer Wahl angetreten bin. Ein Problem ist, dass das Netz vorrangig die jüngere Generation erreicht, vor allem auf Social Media. Gerade unter den jungen Menschen ist aber die Wahlbeteiligung eher niedrig. Das kann sich aber auch ändern, wie die Europawahlen 2019 gezeigt haben. Das Rezo-Video auf Youtube und die Debatte über Klimaschutz haben junge Wählerinnen enorm mobilisiert.

Der Skandal um Cambridge Analytica beim Brexit-Referendum und der Wahl Donald Trumps im Jahr 2016 haben einen anderen Aspekt in den Vordergrund gerückt: die Beeinflussung von Wahlen. Können Sie diese Vorbehalte nachvollziehen?
Ich verstehe die Kritik am Geschäftsmodell einzelner Plattformen, das für viele problematische Entwicklungen mitverantwortlich ist. Aber ich fände es falsch, Internet-Kommunikation als solche zu verurteilen. Das unterschlägt, dass es Bewegungen wie Fridays for Future oder Black Lives Matter ohne das Internet und seine mobilisierende Kraft in dieser Form wohl nicht gegeben hätte. Auch für andere Demokratiebewegungen ist das Internet unglaublich wichtig. Alexeij Nawalny erreicht durch seine Youtube-Dokumentationen eine Öffentlichkeit in ganz Russland und weit darüber hinaus. Bei den Protesten gegen Wladimir Putin vernetzen sich viele junge Menschen über TikTok. Das Netz verleiht solchen demokratischen Bewegungen ganz andere Möglichkeiten.

“Das hat etwas Revolutionäres, weil Grundrechte bisher vor allen Dingen den Staat gebunden haben”

Julia Reda

Eine große Rolle spielen auch Fake News. Facebook hat ein sogenanntes Oversight Board eingerichtet, ein formal unabhängiges Aufsichtsgremium, das Beschwerden nachgeht. Dabei stellt sich die Frage: Wer kontrolliert die Kontrolleure?
Ich bin zwar nicht dagegen, dass Facebook das Oversight Board eingeführt hat. Aber ich glaube, das reicht nicht aus. Die Selbstkontrolle von Privatunternehmen sollte die Politik nicht davon abhalten, eigene Regeln zu erlassen. Ich sehe da die EU in der Verantwortung. Die EU-Kommission hat mit dem Digital Services Act (DSA) und dem Digital Market Act (DMA) Ende des vorigen Jahres einen erstaunlich guten Vorschlag für die Regulierung der sozialen Netzwerke geschaffen. Die Kommission hat aus den Debatten der Vergangenheit über Uploadfilter gelernt.

Inwiefern?
Technische Instrumente wie ein Uploadfilter werden in dem Vorstoß nicht mehr gefordert. Auch werden Menschen, die eine Plattform nutzen, nicht mehr nur als potenzielle Gefährder gesehen. Die Rolle der Plattformen für den politischen Diskurs und die Bedeutung von Meinungsfreiheit kommt in den Vorschlägen sehr gut zum Vorschein. Insofern bin ich optimistisch, dass die EU es schaffen kann, globale Standards zu setzen – ähnlich wie schon bei der Datenschutzgrundverordnung.

Was genau finden Sie an den neuen Vorschlägen gut?
Plattformen müssen künftig öffentlich machen, nach welchen Kriterien sie moderieren und auch, ob sie dabei technische Mittel wie Algorithmen einsetzen. Zudem soll künftig ein Rechtsweg eingeführt werden. Egal, ob Donald Trump oder irgendjemand anderes, die Sperrung des Accounts kann vor Gericht geprüft werden. Und zwar nicht nur auf Grundlage der allgemeinen Geschäftsbedingungen, sondern die Plattformen müssen bei ihren Moderationsregeln künftig die Grundrechte mitbeachten. Das hat etwas Revolutionäres, weil Grundrechte bisher vor allen Dingen den Staat gebunden haben.

Wie beurteilen Sie den Rauswurf Trumps auf Twitter?
Ich glaube nicht, dass es problematisch war, dass Trump gesperrt wurde. Das war ein extremer Einzelfall, über den bei Twitter viele Menschen beraten haben. Es ist aber sinnvoll, dass man weiß, nach welchen Regeln ein Account gesperrt wird. Es ist problematisch, wenn unklar bleibt, ob hier ein Algorithmus nach technischen Vorgaben entscheidet oder reale Menschen. Insofern ist es richtig, dass die neue EU-Regelung für solche Fälle künftig die Möglichkeit einräumt, dagegen zu klagen.

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