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Mark Rutte, der Duracell-Hase

Mark Rutte ist der Premierminister mit der längsten Amtszeit in den Niederlanden. Er steht für Stabilität. Doch die Ungeduld wächst.
Mark Rutte, Ministerpräsident der Niederlande und Parteichef der bürgerlich-liberalen Volkspartij voor Vrijheid en Democratiev(VVD). (Foto: Martijn Beekman)
Mark Rutte, Ministerpräsident der Niederlande und Parteichef der bürgerlich-liberalen Volkspartij voor Vrijheid en Democratiev(VVD). (Foto: Martijn Beekman)

Der Tag bedeutet ihm wenig. Das behauptet zumindest Mark Rutte. Der historische Rekord sei „nicht mehr als eine Fußnote” – mit diesen Worten hat sich der niederländische Regierungschef in die Sommerpause verabschiedet. Das wiederum klingt zu bescheiden, um glaubwürdig zu sein. Denn es geht um einen Eintrag ins Geschichtsbuch. Der Liberale Mark Rutte, 55, löst am Dienstag in den Niederlanden den Christdemokraten Ruud Lubbers als Ministerpräsident mit der längsten Regierungszeit in der Geschichte des Landes ab.

4.310 Tage ist Rutte am Dienstag im Amt, einen Tag mehr als Lubbers, der von 1982 bis 1994 regierte und die Niederlande durch die stürmische Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges steuerte.

Auch Rutte wirkt irgendwie aus einer anderen Ära. Am 14. Oktober 2010 wurde er zum ersten Mal zum Regierungschef gewählt. Die Euro-Krise schlummerte da noch in ihren Anfängen, die Krim gehörte unbestritten zur Ukraine und Lockdown klang mehr nach American Football als nach Pandemie.

Mark Rutte hat sich stetig neu erfunden

Nun ist die Welt eine andere. Nur Mark Rutte ist noch da. Mit einem Duracell-Hasen hat sein einstiger Minister Lodewijk Asscher die energiegetriebene Art des Dauer-Premiers verglichen. Zur Erinnerung: In den analogen Zeiten vor der Powerbank galt die Batterie mit dem roten Kupferdach als besonders leistungsfähig und ausdauernd, die Werbung unterstrich dies im Leistungstest mit einem trommelnden Spielzeug-Hasen.

Rutte gibt den Takt weiter vor. „An die Arbeit, Probleme lösen”, mit diesen Worten pflegt er seit fast zwölf Jahren seine Kabinettssitzungen zu eröffnen. Die Regierungspartner in all den Jahren haben gewechselt. Nur Rutte ist geblieben und hat sich stetig neu erfunden. Zunächst ließ er sich 2010 vom Rechtspopulisten Geert Wilders dulden und gab eine harte Linie in der Migrationspolitik vor. Es folgte ein Bündnis mit den Sozialdemokraten und ein strikter Sparkurs während der Euro-Krise. Für Kritik an der Linie büßten die Regierungspartner in den Wahlen. Ein auch hierzulande bekanntes Muster.

Es knirscht in den Niederlanden

Im Jahr 2017 bildete Rutte dann mit der linksliberalen Partei D66 eine Koalition der inneren Stabilität gegen rechts. Nur im vergangenen Jahr verließ ihn nach den Neuwahlen der Mut. Statt mit Sozialdemokraten und Grünen nach der ersten Corona-Welle eine sozialliberal-ökologische Modernisierung anzuschieben, setzte der Premier auf eine Fortsetzung des Bündnisses mit D66 sowie Christdemokraten – und auf ein bloßes Weiter so.

Seither knirscht es im Land. Die reinen Zahlen sind gut. So halbierte sich die Arbeitslosenzahl in Ruttes Amtszeit von sechs auf drei Prozent. Dennoch herrscht ein leiser Unmut. Der Wohnungsmarkt ist überhitzt, die Infrastruktur überlastet. Rutte verwaltet nur noch, er schiebt nichts mehr an. Mr. Duracell schwindet die Energie. Nun machen die Bauern gegen die Umweltpolitik der Regierung mobil, die den Stickstoffeintrag der Landwirtschaft bis 2030 halbieren will. „Es reicht nicht, einfach eine Karte vorzulegen, auf der rot und tiefrot Gebiete mit hoher Stickstoffbelastung eingezeichnet sind, in denen Landwirtschaft künftig nicht mehr möglich sein soll. Das erzeugt nur Panik und Wut”, kritisiert der Schriftsteller Geert Mak im Gespräch mit Journalistico Ruttes Krisenmanagement.

Mit Sitzfleisch zum Erfolg

Zwischen Rutte und einem Problem stehe mindestens immer eine andere Person, hat zuletzt der frühere Finanzminister und Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem gelästert. Der Regierungschef kontert kühl: „Dijsselbloem saß fünf Jahre neben mir am Kabinettstisch”, so Rutte. Verantwortlichkeiten werden eben gerne mal weitergereicht.

„Teflon-Mark” nennt die heimische Presse den Premier wegen seiner Fähigkeit Affären einfach abperlen zu lassen. Zuletzt im Vorjahr den Skandal um illegale Kürzungen beim Kindergeld – vorrangig für Zuwandererfamilien. Man brauche einfach nur „Sitzfleisch” erklärt Rutte seinen Erfolg. Eine schöne Umschreibung für den Umstand Probleme auszusitzen.

Mark Rutte gehen die Ideen aus

Außenpolitisch führte die Kontinuität an der Regierungsspitze zu einer gesteigerten Bedeutung der Niederlande. Harte Linie in der Euro-Krise, strenge Vorgaben für die Verwendung von EU-Geldern, auch in Europa gibt Rutte weniger den konstruktiv liberal-optimistischen Gestalter als den Quertreiber. Das Destruktive des Störenfrieds droht zum Kern des neuen Liberalismus in Europa zu werden.

„Ich hab’ noch Ideen, ich hab’ noch Energie”, sagt Rutte gerne. Das mit der Energie mag sogar stimmen. Aber die Ideen schwinden. Rutte verkörpert in unruhigen Zeiten vor allem eins: Stabilität. Auch deshalb ist der eskalierende Konflikt mit den Bauern im Land für ihn so gefährlich. Rutte bleibt auffällig still, wo er eigentlich moderieren müsste. Die größte Bewährungsprobe für ihn als Regierungschef kann erst noch kommen.

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