Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) will die geringe Leistungsfähigkeit im Schienenverkehr nicht mehr länger hinnehmen. „So wie es ist, kann es nicht bleiben”, stellt der Minister angesichts stillstehender Güterzüge und massiver Verspätungen klar. Grund seien die zu geringen Kapazitäten im maroden Schienennetz. Er werde die Bahn zur Chefsache machen und die Mängel beseitigen. „Ich erwarte, dass wir die Uhr künftig wieder nach der Bahn stellen können”, sagte Wissing bei der Vorstellung des Plans für ein Hochleistungsnetz. Bis 2030 soll es fertig sein.
Die Idee ist eigentlich nicht neu. Es geht darum, die Bauarbeiten an den am stärksten belasteten Streckenabschnitten anders zu organisieren. Statt immer nur die notwendigen Instandhaltungsarbeiten durchzuführen, sollen sie eine Zeitlang komplett gesperrt und dann rundum modernisiert werden. „Wir bündeln das Baugeschehen maximal”, verspricht Bahnchef Richard Lutz. Auf die Fahrgäste und den Güterverkehr kommt damit erst einmal eine neue Belastung zu. Über mehrere Wochen oder gar Monate werden sie über große Umwege ans Ziel gebracht. Danach, so versichert Lutz, seien die Streckenabschnitte viele Jahre ohne neue Baustellen nutzbar. Das Netz werde so stabilisiert. „Einen schmerzfreien Weg zur Gesundung gibt es nicht”, bedauert er.
Volker Wissing: Deutsche Bahn soll 2024 generalsaniert werden
2024 soll die Radikalkur starten. Bis dahin müssen die Ausweichstrecken so ertüchtig werden, dass sie die Umleitungen meistern können. Dabei geht es zum Beispiel um Abschnitte, die bisher nicht elektrifiziert sind. Insgesamt 3.500 Kilometer, zehn Prozent des Gesamtnetzes, gelten als überlastet. Hier ist jeder vierte der täglich 51.000 Züge unterwegs. Angesichts des boomenden Bahnverkehrs stiegt auch die Belastung weiterer Trassen. Ende des Jahrzehnts werden schon 9.000 Streckenkilometer über Gebühr genutzt.
Eine Karte des Verkehrsministeriums weist acht Korridore aus, die auf Hochleistung getrimmt werden sollen. Darunter sind die Knoten in München, Frankfurt, Hamburg und Stuttgart, die Abschnitte zwischen Würzburg und Nürnberg, Frankfurt und Mannheim, Dortmund und Köln sowie das Mittelrheintal. Welcher davon als erstes an der Reihe ist, will Wissing noch nicht verraten. In Fachkreisen wird dafür der Abschnitt zwischen Frankfurt und Mannheim genannt.
Sanierung der Bahn: Noch fehlen konkrete Kennzahlen
Ansätze für eine Bündelung aller fälligen Baumaßnahmen gab es schon in der Vergangenheit. Doch aus wirtschaftlichen Erwägungen wurden letztlich nur die gerade notwendigen Sanierungsarbeiten durchgeführt. Nun sollen Schwellen, Schienen und Leittechnik nicht mehr nur saniert, sondern auch auf den neuesten technischen Stand gebracht werden. „Qualität und Zuverlässigkeit für Fahrgäste und Industrie müssen wieder in den Mittelpunkt rücken”, sagt Wissing. Um eine entscheidende Kennzahl drückt sich der Minister noch herum. Die Modernisierung wird zusätzliche Milliarden kosten, die in den bisherigen Haushaltsansätzen noch nicht enthalten sind. Am 1. Juli soll das Bundeskabinett den Haushalt für das kommende Jahr beschließen. Dann wird sich zeigen, ob die hohen Ansprüche auch durch entsprechende Haushaltsmittel unterlegt werden.
Der Minister kündigte auch eine verstärkte Aufsicht über die Deutsche Bahn an. Dafür wird eine Steuerungsgruppe eingerichtet, die alle Arbeiten koordiniert, überwacht und die Umstrukturierung des Konzerns begleitet. Denn Wissing will die Geschäftsbereiche Netz und Stationen aus dem bisherigen Konzernverbund lösen und unter dem Dach der Deutschen Bahn als eine gemeinnützige Gesellschaft führen lassen. Sie soll am 1. Januar 2024 die Arbeit aufnehmen. Danach werden die Gewinne aus dem Trassengeschäft nicht mehr an den Konzern abgeführt, sondern wieder ins Netz gesteckt.
Volker Wissing: Deutsche Bahn-Pläne stoßen auf Skepsis
Wer künftig für das Netz verantwortlich ist, könne sich auf einer Aufsichtsratssitzung an diesem Donnerstag herausstellen. Der bisherige Vorstand für die Infrastruktur, Ronald Pofalla, hat die Bahn verlassen. Die Bahngewerkschaft EVG und Bahnchef Lutz favorisieren eine Neubesetzung des Postens mit Bertold Huber, der bisher für den Personenverkehr verantwortlich ist. Wissing ließ offen, ob der Eigentümer Bund dies im Aufsichtsrat unterstützt.
Den großen Plänen begegnen Bahnverbände skeptisch. „Eine Generalsanierung im Kernnetz ist kein Ersatz für mehr Tempo bei der Erweiterung des Schienennetzes”, mahnt Dirk Flege, Chef der Allianz pro Schiene. Und der Güterverkehrsverband spricht beim Hochleistungsnetz von einer „PR-Floskel”. Entsprechende Ankündigungen habe es schon unter Wissings Vorgänger Andreas Scheuer gegeben. Ähnlich sehen es die Nahverkehrsbahnen. „Wir haben kein Erkenntnis, sondern ein Umsetzungsproblem”, heißt es aus der Branche.
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