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Schienengüterverkehr: Firmen befürchten, dass Lieferketten reißen

Baustellen und schlechte Planung führen zu Chaos auf der Schiene. Die Kundschaft der Deutschen Bahn spricht von einem “Volldrama” im Güterverkehr.
Im Güterverkehr auf dem deutschen Schienennetz kommt es derzeit offenbar zu massiven Störungen (Foto: Deutsche Bahn / Volker Emersleben)
Im Güterverkehr auf dem deutschen Schienennetz kommt es derzeit offenbar zu massiven Störungen (Foto: Deutsche Bahn / Volker Emersleben)

Im deutschen Schienengüterverkehr herrscht offenbar ein dramatisches Chaos. So dramatisch, dass nun ein Zusammenbruch der Lieferketten befürchtet wird. “Auf der Verbindung zwischen den Nordseehäfen, deutschen und Schweizer Industriestandorten entlang des Rheins, und norditalienischen Industriezentren sind die Störungen so stark, dass sich sowohl Eisenbahnverkehrsunternehmen als auch industrielle Verlader um das Reißen von Lieferketten sorgen”, sagt der Geschäftsführer des Netzwerkes Europäischer Eisenbahnen (NEE), Peter Westenberger, Journalistico. In der Schifffahrt sehen die Lieferengpässe ähnlich aus.

Chaos im Güterverkehr: “Das ist ein Volldrama”

In der vergangenen Woche hatten mehrere europäische Verbände im Bereich der Logistik und des Güterverkehrs einen Brandbrief an die Europäische Kommission und das deutsche Bundesverkehrsministerium geschrieben (Journalistico berichtete). Darin beklagten sie eine “inakzeptable Situation” in Deutschland. Die Bahntochter DB Netz versage bei der Steuerung von Baustellen im Schienennetz. Dutzende internationale Güterzüge hätten abgestellt werden müssen oder seien stark verspätet gewesen.

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Inzwischen hat auch die FAZ das Thema aufgegriffen. Der Vorstandsvorsitzende von SBB Cargo, Sven Flore, sagte der Zeitung: “Das ist ein Volldrama. Was im Augenblick abgeht: eine absolute Katastrophe. Das habe ich so noch nicht erlebt, und ich bin jetzt seit 30 Jahren bei der Eisenbahn.”

Grundsätzlich resultiere die derzeitige Situation aus einer Mischung aus der hohen, aber selbstverständlich notwendigen Bautätigkeit, so NEE-Geschäftsführer Westenberger, und dem “zeitlichen Überziehen von Baustellen, nicht besetzten Stellwerken und mangelhafter bis nicht vorhandener Kommunikation der DB Netz, was zur Entspannung der Situation getan wird und wann es denn wieder besser wird.”

Planung des Schienengüterverkehrs läuft offenbar chaotisch

Die Bahntochter DB Netz ist in Deutschland für Bau, Betrieb und Instandhaltung weiter Teile des Schienennetzes zuständig. Wollen Güterverkehrsunternehmen auf ihrem Netz fahren, müssen sie vorab die notwendigen Trassen buchen. Für die Durchfahrt wird ihnen dann eine Gebühr in Rechnung gestellt. Im Gegenzug erwartet die Kundschaft, dass die Benutzung des Netzes einwandfrei funktioniert. Zwar hat man sich längst daran gewöhnt, dass das nicht der Fall ist, derzeit scheint die Lage aber besonders prekär zu sein.

“Grundsätzlich werden Fahrpläne seitens der DB Netz ständig zu spät fertiggestellt”, kritisiert Westenberger. Züge seien darin oftmals nicht vollständig berücksichtigt, Abstimmungen zwischen den Regionen fänden nicht statt oder seien fehlerhaft. Die Eisenbahnverkehrsunternehmen hätten einen “enormen Abstimmungs- und Kontrollbedarf gegenüber der DB Netz, ob Züge wirklich vollständig von ihr geplant werden”. Würden Fehler entdeckt, ziehe das einen enormen Rattenschwanz nach sich, bis die Planung sitze.

Güterverkehr: Sieben Stunden Verspätung auf kürzesten Strecken

Das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen hat besondere Fälle von seinen Mitgliedern zusammengetragen. Journalistico greift einen Fall exemplarisch heraus: So sei es am 1. Dezember im Raum Leverkusen zu einer massiven Verspätung gekommen. Bei Morsbroich sei ein Zug wegen einer Störung des Bahnübergangs mehr als drei Stunden stillgestanden. Als er weiterfahren konnte, sei er alsbald von einer Weichenstörung bei Hilden ausgebremst worden. Letztlich sei auf einer Strecke von gut 20 Kilometern (Luftlinie) eine Verspätung von mehr als sieben Stunden entstanden.

Am selben Tag sei es im Raum Buchholz (Nordheide) zu einer starken Verspätung wegen Personen im Gleis gekommen. Dafür kann die DB Netz zwar nichts. Als der Zug aber weiterfahren konnte, habe er für die 5,8 Kilometer zwischen Duisburg-Hauptbahnhof und Duisburg-Wedau rund 90 Minuten benötigt und sei dann geradewegs auf die bereits erwähnte Weichenstörung bei Hilden zugefahren. Weil die Schichtlänge des Lokführers, so die Schilderung, nun drohte überzogen zu werden, musste der Zug abgestellt werden.

Was die Deutsche Bahn zu den Vorwürfen sagt

Personalmangel sowie überalterte IT sind nach Ansicht der Kunden der DB Netz wesentliche Gründe für die Probleme im Schienengüterverkehr. Die Güterbahnen erhielten oftmals nicht oder nicht rechtzeitig den jeweiligen Fahrplan zugestellt. Häufig komme der Fahrplan erst nach der darin vorgesehenen Abfahrtszeit eines Zuges an.

Außerdem ließen die Fahrpläne oft qualitativ zu wünschen übrig. Gemeint sind damit zum Beispiel überlange Umwege und Haltezeiten. Wenn eine Strecke nicht befahrbar sei, sei es zudem mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden, der DB Netz eine Alternative Strecke zu entlocken. Das Personal des Unternehmens sei zu oft nicht kundig.

Journalistico konfrontierte die Deutsche Bahn mit den Vorwürfen der Kundschaft. “Der Herbst ist die Hochzeit für Baustellen – noch bevor die Kälte kommt, setzen wir alle Kräfte ein, um die Milliardeninvestitionen in diesem Jahr wie angekündigt abzuschließen”, antwortete eine Sprecherin. “Bei bis zu 1000 Baustellen pro Tag sind Engpässe im Netz leider nicht auszuschließen. Selbstverständlich stehen wir mit unseren Güterverkehrskundinnen und -kunden im engen Kontakt, um hierfür kurzfristige Lösungen zu finden.”

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