FDP-Politiker Otto Fricke legte seit Pfingsten mehr als 3.000 Kilometer mit der Bahn zurück. Ein Interview über den Modernisierungsstau der Bahn, positive Verspätungserfahrungen und ein Land im 9-Euro-Ticket-Fieber.
Herr Fricke, wo sind Sie gerade?
Am Hauptbahnhof in Mannheim. Ich bin auf dem Weg von Freiburg zurück in den Wahlkreis nach Krefeld.
Geht’s über die Schnellbahnstrecke über Frankfurt nach Köln?
Nein, über das Rheintal. Die zusätzliche Zeit für die schöne Strecke zwischen Mainz und Köln gönn’ ich mir.
Dann viel Glück für die Baustellen zwischen Koblenz und Köln. Sie haben die sitzungsfreie Zeit genutzt und sind in den vergangenen zehn Tagen mit der Bahn quer durch Deutschland gereist. Wie viele Kilometer haben Sie im Zug zurückgelegt? Und wie viele Verspätungsminuten haben Sie angesammelt?
„Die Bahn ist besser als ihr Ruf. Für Verbindungen in
Deutschland ist sie eigentlich konkurrenzlos.”
Ich nähere mich Bahnkilometer 3.000. Und ehrlich: Ich habe insgesamt nur dreißig Minuten Verspätung eingefahren. Das ist wirklich eine positive Überraschung. Okay, im Regionalverkehr gibt es den einen oder anderen unprofessionellen Neun-Euro-Neuling beim Ein-und Aussteigen. Aber die Beschäftigten der Bahn machen wirklich einen guten Job. Das muss auch mal gesagt werden. Mit leichten Ausnahmen vielleicht im Bordbistro. Da gehen öfter mal die Speisen aus.
Deutschland bewegt sich. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) würdigt gerade, dass allein im Juni 16 Millionen Neun-Euro-Tickets verkauft worden sind. Wie nehmen Sie die Bahn wahr?
Ich bin als Haushaltspolitiker seit 2002 ja unmittelbar mit der Bahn befasst. Insofern habe ich die Debatten alle verfolgt. Aber nochmal: Die Bahn ist besser als ihr Ruf. Für Verbindungen in
Deutschland ist sie eigentlich konkurrenzlos. Ich bin neulich sogar mit dem Zug von Wien über Dresden nach Berlin gefahren, eine wunderbare Strecke durchs Elbsandsteingebirge.
„In Fragen der Schieneninfrastruktur und der Digitalisierung ist die öffentliche Hand gefragt.”
Jenseits des Panoramas drückt der Investitionsbedarf. Die deutsche Industrie beklagt Wartezeiten bei Güterzügen von teils zwei Wochen. Die Deutsch Bahn beziffert die Investitionen allein in diesem Jahr auf knapp 14 Mrd. Euro. Wie sehen Sie das?
Ich bin zwar Haushaltspolitiker, aber ich sehe die Notwendigkeit der Investitionen – auch mit Blick auf den gesellschaftlichen Nutzen der Bahn.
Von welcher Summe sprechen wir denn?
Es geht weniger um Summen als um die Frage: Welche Bahn wollen wir eigentlich: Wollen wir eine Bahn, die sich um alles kümmert oder wollen wir ein modernes Dienstleistungsunternehmen. Und da sage ich: In Fragen der Schieneninfrastruktur und der Digitalisierung ist die öffentliche Hand gefragt. In Fragen des Transports bin ich klar für mehr Wettbewerb und eine Öffnung für weitere Anbieter.
Sie gelten als großer Kenner der Niederlande. Was kann Deutschland im Bahnverkehr vom Nachbarn lernen?
Die Niederlande sind was Taktung sowie Verzahnung von Nah- und Fernverkehr angeht ein gutes Vorbild. Das gilt ebenso für digitale Tickets mit QR-Code. Auch die Anbindung mit dem Fahrrad ist vorbildlich. Mit dem Rad lässt sich beispielsweise am Bahnhof Utrecht einfach in die Tiefgarage fahren. Dieser Bahnhof ist für Deutschland bisher unerreicht.
In Deutschland wird’s da schwieriger. Sie posteten auf Twitter ein Bild vom Hauptbahnhof in Duisburg, da regnet es durchs Dach…
Auch da bin ich der Meinung, dass mehr Wettbewerb vorteilhaft wäre. Es gibt in Deutschland tolle Bahnhöfe wie Dresden und Leipzig. Es gibt aber auch weniger tolle. Auch da sind die Niederlande ein gutes Beispiel. Da gibt es für einen Bahnhof einen Chefverantwortlichen, der alles im Blick hat.
Die große Herausforderung ist die Digitalisierung der Bahn. Wie lässt sich das bewältigen?
Jenseits der Finanzmittel empfehle ich einen Blick nach Norwegen. Das Land bewältigt die Digitalisierung vorbildhaft. Dort wird eine Strecke nicht in kleinen Etappen digitalisiert, dort sperrt die Bahn eine Verbindung für ein paar Wochen komplett und saniert dafür in
einem Ruck.
Der Haushälter
Otto Fricke, 56, ist FDP-Haushaltspolitiker im Bundestag. Als
Abgeordneter darf er umsonst mit der Bahn reisen. Ein Neun-Euro-Ticket
hat er dennoch – für Bus und U-Bahnen. Seit Pfingsten ist er rund
dreitausend Kilometer durch Deutschland gereist. Sein Lieblingsbahnhof
ist der Bahnhof Bärental im Schwarzwald. Ansonsten schätzt er das
Panorama-Bistro der Schweizer Bahn – gerade im Rheintal.