Die Uhrzeit der jeweiligen Treffen stand schon als Sinnbild für den Konflikt. Um „5 vor 12″ begann die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) vor der Zentrale der Grünen ihren Protestzug, der ein paar hundert Meter weiter zum Sitz der FDP führte. Tags zuvor bat die Lokführergewerkschaft GDL zusammen mit Verbänden privater Bahnen pünktlich um „5 nach 12″ zur Pressekonferenz. Das zeigt, wie weit die Positionen in der wichtigen Frage einer Bahnreform auseinander liegen.
Die EVG will gemeinsam mit der SPD eine Aufteilung der Deutschen Bahn in eine Netz- und eine Betriebsgesellschaft verhindern. Nach eigenen Angaben zogen dafür 1.200 Gewerkschafter durch das Regierungsviertel. Die Konkurrenten der Bahn kämpfen wie die GDL für eine Trennung von Netz und Betrieb. FDP und Grüne haben ebenfalls über eine Aufspaltung der Bahn diskutiert. In den Koalitionsverhandlungen liegt dieser Konflikt noch ungelöst auf dem Tisch. Also machen beide Seiten kräftig Stimmung für ihre Position.
Qualität und Kundenorientierung statt bloßen Gewinnen
Die Infrastruktur, also das Netz, die Stationen und die Stromversorgung der Trassen wollen die Privatbahnen gemeinsam mit der GDL vom Zwang befreien, Gewinne zu erwirtschaften. „Künftig sollen sie klar auf Qualität und Kundenorientierung hin gesteuert werden”, fordert das Bündnis. Jahrelang sei von der Infrastruktur verlangt worden, Geld zu verdienen. Nun müsse die Verlagerung von Verkehr auf die Schiene Vorrang erhalten. GDL-Chef Claus Weselsky wird noch deutlicher. „Jeden Tag aufs Neue wird der Beweis angetreten, dass die gesamte Infrastruktur des Eisenbahnsystems weder auf Pünktlichkeit noch auf Zuverlässigkeit, geschweige denn auf Gemeinwohl und mehr Verkehr ausgerichtet ist”, kritisiert er. Die SPD dürfe dem Fortschritt nicht länger im Wege stehen.
Das sieht EVG-Vize Martin Burkert ganz anders. „Die Trennung ist für uns die rote Linie”, stellt er klar. Viele Beschäftigte der Dienstleistungsberufe wie Gastronomen, das Sicherheits- oder Reinigungspersonal hätten die Sorge, dabei in prekäre Verhältnisse zu geraten. Mit der Kernforderung der Privatbahnen, die Gewinne im Netz zu belassen, könnte die EVG allerdings wohl leben. Hauptsache, der integrierte Konzern bleibt erhalten.
Dabei spielen vermutlich auch organisationspolitische Erwägungen eine Rolle. Die privaten Konkurrenten haben im Güterverkehr einen Marktanteil von 56 Prozent, im Nahverkehr von 40 Prozent. In den Unternehmen hat fast durchweg die GDL das Sagen. Bei einer Trennung von Netz und Betrieb würde die Lokführergewerkschaft auf in den Eisenbahnsparten noch stärker werden und die viel größere EVG in Bedrängnis bringen.
So oder so – die Bahn muss reformiert werden
Einig sind sich alle Beteiligten, dass die Bahn besser werden muss, wenn sie mehr Fahrgäste und mehr Güter transportieren und den Klimaschutz voranbringen soll. Welche Reformen dafür notwendig sind, wird die neue Bundesregierung entscheiden. So wartet EVG-Vize Burkert erst einmal ab, wie der Aufsichtsrat der Bahn besetzt wird und welche Vorgaben er dem Vorstand macht. Den Vorständen müssten andere Ziele gegeben werden, sagt er.
So könnte sich am Ende der Diskussion um eine zweite Bahnreform auch die Frage nach der Führung des Konzerns wieder stellen. Gerüchte über denkbare Veränderungen machen schon die Runde. Vor allem der einstige CDU-Politiker Ronald Pofalla, der im Vorstand für die Infrastruktur verantwortlich ist, hat in der Riege der Koalitionäre Gegner. Sein Vertrag läuft aber noch einige Jahre, ebenso wie der von Bahnchef Richard Lutz. Eine Nachfolgerin für Lutz dürfte sich dann auch im eigenen Hause finden. Sigrid Nikutta, Chefin der Gütersparte, werden Ambitionen auf seinen Posten nachgesagt.
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