Die Europäische Zentralbank (EZB) reagiert deutlich, aber nicht hektisch
auf die ansteigende Inflation. Die zusätzlichen Anleihekäufe sollen
spätestens Ende Oktober diesen Jahres komplett enden. Das gab der
EZB-Rat am Donnerstag bekannt. Damit reduziert die Notenbank, die die
europäische Währung Euro herausgibt, die Versorgung der Wirtschaft mit
frischem Geld, um den Preisauftrieb zu dämpfen.
Dieser Schritt ist eine Voraussetzung für die Abkehr von der bisherigen
Nullzinspolitik. Noch aber hält das Leitungsgremium um Präsidentin
Christine Lagarde die Zinsen auf dem bisherigen niedrigen Niveau. Wann
es genau zur Zinswende kommt, ist unklar. Dies könne „einige Zeit” nach
dem Auslaufen der Anleihenkäufe im dritten Quartal erfolgen, sagte
Lagarde am Donnerstag. Die gewissen Zurückhaltung ist als Zeichen zu
verstehen, dass der EZB die andauernde Coronakrise und der russische
Krieg gegen die Ukraine auch ökonomische Sorgen bereiten.
Investitionen und Konsum fördern
Das Ankaufprogramm APP wird demnach schneller als bisher geplant
auslaufen. Ein anderes Programm (PEPP) endet schon diesen Monat.
Allerdings werden nur die zusätzlichen Ankäufe ausgesetzt. Die Mittel
aus auslaufenden Papieren will die Zentralbank weiter reinvestieren, so
dass der Bestand der Anleihen in ihrem Besitz konstant bleibt. Diese
Programme dienen dazu, Staatsanleihen der Euro-Mitglieder und
Unternehmensanleihen zu erwerben, um deren Refinanzierungskosten niedrig
zu halten, Investitionen und Konsum zu fördern.
Für dieses Jahr hat die Notenbank ihre Inflationserwartung stark
angehoben. Mittlerweile rechnet sie mit einer durchschnittlichen
Teuerungsrate in der Währungsunion von 5,1 Prozent. Ende des vergangenen
Jahres lag diese Prognose noch bei 3,2 Prozent. Für 2023 geht die EZB
allerdings davon aus, dass sich der Preisauftrieb auf 2,1 und 2024 auf
1,9 verringert. Diese Werte lägen im Umkreis der Inflationsrate von zwei
Prozent, die die Notenbank für akzeptabel hält.
Corona-Krise, Ukraine-Krieg: große Herausforderungen
Die EZB steckt augenblicklich in einer schwierigen Situation. Wegen der
schnell gestiegenen Inflation und der hohen Energiepreise muss sie
einerseits ihre Geldpolitik straffen, das heißt ihre Anleihekäufe rasch
reduzieren und eigentlich auch die Zinsen anheben. Das geringere
Geldangebot würde den Preisauftrieb bremsen.
Andererseits jedoch zieht sich die Coronakrise in die Länge, die
Erholung der Konjunktur kommt nicht richtig in die Gänge. Und neuerdings
führt der Weg zusätzlich in eine Kriegswirtschaft. Die Sanktionen gegen
Russland schädigen auch hiesige Unternehmen, bei einigen Rohstoffen für
die Industrie deuten sich Knappheiten an. Diese Entwicklungen sprechen
eher dafür, die Wirtschaft weiter mit billigem Zentralbankgeld zu
unterstützen. Der Widerspruch zwischen beiden Strategien ist schwer lösbar.
Experten stimmen EZB größtenteils zu
Einige Ökonomen betonen die Inflationsgefahr und legen deshalb nahe, die
Zentralbank müsse stärker auf die Bremse treten. Zu ihnen gehört Timo
Wollmershäuser vom ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in München. Er
hält die Ansage der EZB für eine „gute Entscheidung”, weil die
Zentralbank die Gefahr des Preisauftriebs ernstnehme.
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, sieht zwar das Risiko einer weiter
zunehmenden Inflation: „Die kommenden Monate können sehr, sehr hart
werden für die Verbraucherinnen und Verbraucher.” Gleichzeitig warnte er
vor einer Rezession als Folge des Krieges in der Ukraine. Friedrich
Heinemann von Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in
Mannheim kann die Beweggründe der EZB ebenfalls nachvollziehen: „Zwei
Wochen nach Kriegsausbruch ist es unabsehbar, wie stark der Konflikt die
Erholung der Wirtschaft dämpfen wird. Es ist nachvollziehbar, dass sich
die EZB noch etwas Zeit nimmt, bevor sie die geldpolitische Wende
einleitet.”
Kritische Stimmen
Daneben waren aber auch kritischere Stimmen zu hören, etwa von Jörg
Krämer, dem Chefvolkswirt der Commerzbank: „Dies im Vergleich zur
US-Zentralbank zögerliche Vorgehensweise ist mit Blick auf die massiv
gestiegenen Inflationsraten riskant.” Thomas Gitzel, Chefökonom der
Liechtensteiner VP Bank bemängelte: „Die europäischen Währungshüter
laufen Gefahr, dass sie bei einer zu lockeren Handhabung der Geldpolitik
einen historischen Fehler begehen.”
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