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Bankenpräsident Sewing: Zinssteigerung 2022 „nicht sehr wahrscheinlich”

Im Interview spricht Bankenpräsident Christian Sewing über Inflation, Zinssteigerungen und was 2022 den Sparerinnen und Sparern bringen wird.
Bankenpräsident Sewing wagt einen zuversichtlichen Blick auf 2022. (Foto: Bankenverband)
Bankenpräsident Sewing wagt einen zuversichtlichen Blick auf 2022. (Foto: Bankenverband)

Ein Virus und Transportengpässe auf den Weltmärkten haben Wirtschaft und Verbraucher 2021 nachhaltig beschäftigt. Zudem stiegen die Preise teils dramatisch. Und die Banken verabschiedeten sich von zahlreichen Filialen, gleichzeitig stiegen vielerorts die Gebühren. Christian Sewing, Präsident des Bundesverbands deutscher Banken, erklärt, worauf sich die Menschen 2022 einstellen müssen und warum er eine Zinssteigerung für eher unwahrscheinlich hält.

Herr Sewing, mit welchem Wirtschaftswachstum rechnet der Bankenverband für 2022?

Aus heutiger Sicht ist für das kommende Jahr in Deutschland ein Wirtschaftswachstum von rund vier Prozent möglich. Auch wenn der Start schwierig wird, sollten die wirtschaftlichen Belastungen durch die Pandemie im Frühjahr wieder nachlassen. Die derzeitigen Lieferengpässe dürften ebenfalls im Jahresverlauf nachlassen. Das hohe Auftragspolster der Industrie bietet dann die Grundlage für eine recht dynamische Erholung im Sommer und Herbst nächsten Jahres.

Wie wird sich die Inflation entwickeln?

Zwar wird die aktuell sehr hohe Inflationsrate im kommenden Jahr allein aufgrund von statistischen Effekten wieder etwas sinken. Sie wird aber nicht wieder auf das niedrige Niveau zurückfallen, das wir zuletzt über mehrere Jahre gesehen hatten. Beim Inflationstrend erleben wir gerade einen „Etagenwechsel”, also von Inflationsraten unter zwei Prozent im vergangenen Jahrzehnt zu Raten von voraussichtlich 2,5 bis drei Prozent in den nächsten Jahren. Wir haben es mit mehreren Faktoren zu tun, die auch längerfristig die Preise treiben werden – darunter der demografisch bedingte Fachkräftemangel oder der Umbau der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit. Hinzu kommt die Neujustierung der globalen Lieferketten. Zudem könnte mehr mobiles Arbeiten mancherorts die Gehälter in die Höhe treiben, weil auch Mittelständler in der deutschen Provinz plötzlich mit Jobs bei Großunternehmen aus den Metropolen konkurrieren müssen.

„Die niedrige Impfquote erweist sich als Hypothek.”

Wie bewertet der Bankenverband das Corona-Krisenmanagement bisher?

Auch wenn es manchmal gerumpelt hat, sind wir nach meinem Eindruck verhältnismäßig gut durch die Krise gekommen. Aktuell erweist sich aber die vergleichsweise niedrige Impfquote als Hypothek. Wichtig ist und bleibt daher eine gute Versorgung mit Impfstoffen – und dass möglichst viele Menschen sie annehmen. Mit Blick auf die Wirtschaft haben die Maßnahmen von Bund, Ländern und EU geholfen, eine noch schwerere Wirtschaftskrise in Deutschland zu verhindern. Das ist definitiv ein großer Erfolg. Und wir Banken waren auch ein Teil der Lösung, indem wir etwa die Wirtschaft mit Krediten versorgt haben.

Welche Folgen hat die Pandemie für die privaten Banken?

Die Pandemie hat die Digitalisierung in vielen Lebensbereichen beschleunigt. Auch unsere digitalen Angebote vom Online Banking bis zum kontaktlosen Bezahlen werden deutlich häufiger genutzt. Dies gilt aber auch für unseren eigenen Betrieb. Ich hätte vor einigen Jahren nie gedacht, dass wir Banken so reibungslos unsere Dienstleistungen anbieten können, während der Großteil unserer Belegschaft von zu Hause arbeitet.

„Für 2022 rechnen wir mit einer Normalisierung der Kursentwicklung.”

Nach einer Rallye in 2021 mit einem Dämpfer zum Ende des Jahres: Wie entwickeln sich die Börsen 2022?

2021 konnten viele Unternehmen in Deutschland ihre Gewinnmargen verbessern; auch das war ein Grund für die steigenden Börsenkurse. Für 2022 rechnen wir mit einer gewissen Normalisierung der Kursentwicklung. Da die Kapitalmarktzinsen weiterhin auf einem sehr niedrigen Niveau bleiben, sollte das frisch erweckte Aktieninteresse bei vielen Sparern in Deutschland anhalten.

Wie bewertet der Bankenverband die aktuelle Politik der EZB in Sachen Leitzins?

Der Ausstieg aus der Negativzinspolitik ist die wichtigste, gleichzeitig aber eine herausfordernde Aufgabe der nächsten Jahre. Die EZB teilt inzwischen unsere Ansicht, dass die hohen Inflationsraten im kommenden Jahr langsamer zurückgehen werden als ursprünglich erwartet. Dennoch hat sich die Zentralbank sehr langfristig festgelegt und eine Zinswende im nächsten Jahr bereits ausgeschlossen. Dadurch steigt das Risiko, dass die Notenbank später mit einem kräftigen geldpolitischen Bremsmanöver eingreifen muss.

„Eine Zinssteigerung im Jahr 2022 nicht sehr wahrscheinlich.”

Wann rechnen Sie wieder mit steigenden Zinsen?

Aus heutiger Sicht ist eine Zinssteigerung der EZB im Jahr 2022 nicht sehr wahrscheinlich. Je nachdem, wie sich Inflation und Pandemie entwickeln, könnte sich die Einschätzung der EZB aber ändern. Zunächst wird sie aber über ein Ende ihrer Anleihekäufe diskutieren, bevor ein Zinsschritt erwogen wird.

Immer mehr Banken nehmen Strafzinsen für Spareinlagen. Wird das so weitergehen?

Die Geschäftsbanken müssen bereits seit Mitte 2014 einen negativen Zins für ihre Guthaben bei der EZB zahlen. Die Institute haben lange versucht, diese Kosten nicht an ihre Kunden weiterzugeben. Wir hatten alle gehofft, dass die Negativzinspolitik nur ein vorübergehendes Notfallinstrument der Geldpolitik sein würde. Das war leider ein Trugschluss. Durch die die hohe Liquidität an den Märkten und die deutlich gestiegenen Kundeneinlagen hat sich der Kostendruck im Einlagengeschäft der Banken kontinuierlich erhöht. Um im Einlagengeschäft überhaupt kostendeckend arbeiten zu können, haben vielen Banken mittlerweile keine andere Möglichkeit mehr, als Verwahrentgelte einzuführen. Die Entscheidung trifft allerdings jedes Institut für sich.

„Wir erleben eine Renaissance der Beratung, weil die Welt der Finanzen komplexer wird.”

Die Banken nehmen Gebühren für Girokonten, Depots, Aktienkäufe und -verkäufe. Der Kunde hat das Gefühl, für alles mehr zahlen zu müssen, gleichzeitig aber nicht mehr zu bekommen – tendenziell sogar weniger. Warum ist das so?

Für Bankkunden ist das Preis-Leistungs-Verhältnis in Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Nachbarstaaten nach wie vor sehr günstig. Die Marktbedingungen haben sich aber durch die anhaltende Negativzinspolitik stark verändert. Das belastet sowohl die Ertragslage der Banken als auch die Rendite der Sparerinnen und Sparer. Bei den Kosten der Banken schlagen zudem erheblich höhere Ausgaben für die Berichts- und Dokumentationspflichten und andere regulatorische Vorgaben zu Buche.

Alle klassischen Geschäftsbanken streichen in hohem Maße Filialen. Wie viele Filialen wird es bundesweit Ende 2022 aus Sicht des Bankenverbands noch geben?

Eigene Prognosen haben wir nicht. Das sind Entscheidungen, die jedes Institut für sich trifft. Die Statistik der Bundesbank zeigt seit Jahren einen Trend zu weniger Filialen. Der wird sich fortsetzen: Kunden nutzen zunehmend Online-Angebote und erledigen ihre Bankgeschäfte von zuhause. Aber es bleibt in Deutschland immer noch eine relativ hohe Filialdichte mit mehr Anlaufstellen für Bankkunden als in vielen anderen Ländern Europas.

Angesichts der Neo-Banken wie N26 und Neo-Broker wie Tradegate, wo alle Geschäfte online laufen, und Bargeldabheben im Supermarkt: Brauchen Banken überhaupt noch Filialen?

Es wird auch in Zukunft Filialen geben. Wir erleben eine Renaissance der Beratung, weil die Welt der Finanzen komplexer wird. Viele Kundinnen und Kunden legen wieder mehr Wert auf persönlichen Service und individuelle Beratung – gerade bei Wertpapieren, Baufinanzierung oder anderen Krediten.

Der Bundesverband deutscher Banken

Der Bundesverband deutscher Banken mit Sitz in Berlin vertritt rund 200 Geschäftsbanken und Fintechs. Ehrenamtlicher Präsident ist seit Juli 2021 Christian Sewing. Der 51-Jährige leitet seit April 2018 die Deutsche Bank. Er stammt aus Ostwestfalen und hat seit der Lehre und einem dualen Studium fast sein ganzes Berufsleben beim größten deutschen privatwirtschaftlichen Institut verbracht.

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