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100 Jahre Goldbär: Haribos Erfolgsgeschichte

Eine deutsche Ikone wird 100. Erfunden in Bonn, erfreut Haribos Goldbär heute Menschen in aller Welt. Auf den Spuren eines Erfolgsgeheimnisses.
Der Goldbär wird 100 Jahre alt. (Foto: Dan-Cristian P)
Der Goldbär wird 100 Jahre alt. (Foto: Dan-Cristian P)

Wenige Stars sind so bekannt wie er. Er ist deutscher Weltbürger und bereiste das All. Taucht er irgendwo auf, ob in gelb, rot, grün, orange oder weiß, wollen ihn alle anfassen. Und aufessen. Erstaunlich für einen, der gerade hundert Jahre alt wird. Wie begeistert das Gummibärchen die Massen? Und wer ist der Goldbär, wie Haribo ihn nennt, die Firma, für die er seit zehn Jahrzehnten arbeitet? Eine Spurensuche hinter sonst verschlossenen Türen.

Schon der Geburtstag ist so eine Sache, bekannt ist nur das Jahr, 1922. Irgendwann passte der Mix aus Fruchtsaft, Gummi Arabicum und einigen anderen Zutaten und Haribo-Gründer Hans Riegel hatte den perfekten Bären. Immerhin: Der Geburtsort ist eine Waschküche im Bonner Stadtteil Kessenich. Und bekannt ist auch, dass der Bär einen längeren Hals hatte als heute und deutlich größer war: knapp fünf Zentimeter. Vorbild waren die Tanzbären des 19. Jahrhunderts. Bezahlbar gute Laune wollte Riegel verbreiten, und die war so kurz nach dem Ersten Weltkrieg wichtig.

Der Bär überlebte Wirtschaftskrise und Nazischrecken, genoss das Wirtschaftswunder, erhielt seinen vergoldeten Namen und machte sich, jetzt geschrumpft, aber immer noch zuckersüß, daran, die ganze Welt zu erobern. Gemeinsam mit TV-Moderator Thomas Gottschalk rollte er werbemäßig den Markt auf. Und die US-Astronautin Cady Coleman nahm ihn 2019 tütenweise mit auf die Raumstation ISS.

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Das Haribo-Lager: so groß wie ein Fußballstadion

Bevor es in die Umlaufbahn um die Erde gehen kann, hat der Bär schon einiges hinter sich. Fuhr er 1922 noch mit dem Rad zum Kunden, kommt der Goldbär in Deutschland seit 2018 per Lkw aus einem der 48 Tore des Zentrallagers in Grafschaft, sauber eingetütet, in Kartons verpackt und auf Paletten gestapelt. Dafür zuständig ist Uwe Weber, Chef Logistik Deutschland. Er steht im Hochregallager, 120 mal 120 Meter mal 43 Meter, da passt ein kleines Fußballstadion hinein. Die 40 Meter hohen Aufzüge oder Regal-Bedien-Geräte sirren und schnurren in den 22 Regalschluchten hin und her, um Paletten mit Goldbären einzusortieren oder mit Tütenfolie herauszuholen.

Weber hat die in dieser Form einmalige Anlage selbst entworfen. 1300 Paletten in der Stunde kann sie umschlagen, gut 100.000 Paletten lagern hier, sehr viele Goldbären, auch Schaummäuse, Lakritzschnecken, Riesenanakondas. Und nur die Anlage weiß, welche Palette mit L’Ours D’Or oder Goldbears als nächstes herausgesucht werden muss. Alles technisch effizient, damit der Bär überall und immer verfügbar ist, aber sein Charme muss irgendwo anders entstehen.

Das Goldbären-Rezept ist streng geheim

Eine Tür, die hier allgegenwärtigen elektrobetriebenen gelben Wagen der Logistikanlage auf ihren blauen Schienen. Die Passerelle, der Übergang vom Lager zum Allerheiligsten hier bei Haribo: der Produktion. Es riecht nach warmem Zucker und … Himbeer vielleicht? Jedenfalls sehr intensiv nach Goldbär. Und man möchte jetzt sofort eine Tüte aufreißen, geht aber nicht.

Stattdessen: Mobiltelefon abgeben, Schmuck ablegen, Spezialschuhe anziehen, Schutzkleidung. Dann öffnet sich die Tür zur Produktion, wie das Lager ein grauer Kasten. Modernste Anlage der Süßwarenindustrie, schwärmen sie bei Haribo. Sieben Fußballfelder groß über drei Ebenen. Ganz oben werden die Zutaten gemischt, ganz unten wird sortiert. Dazwischen: Geheimnis. Wegen der Konkurrenz. Haribo hat in Deutschland geschätzt zwischen 50 und 60 Prozent Anteil am Markt für Fruchtgummi und Lakritz. Auch weltweit sieht man sich als Nummer 1. Und das soll so bleiben.

Nur so viel zur Produktion: „Alles drumherum ist computergesteuert und modern, im Kern entsteht der Bär aber wie vor 100 Jahren”, sagt Hans-Christian Kimmel, Chefarchivar des Unternehmens. Auf einem Blech wird Maisstärke ausgebreitet, ein Stempel in Bärenform wird hineingedrückt, in die Mulde fließt dann der Bärengrundstoff. Die Bleche stehen einige Zeit zum Trocknen. Dann werden die Bären im Sieb von der Stärke getrennt, mit Bienenwachs besprüht, damit sie nicht aneinanderkleben, gemischt und eingetütet.

Das Grafschafter Werk 2021 ist natürlich etwas größer als Riegels Hinterhof 1922. Riesige Bleche, hunderte Stempel, hunderte Einspritzdüsen, silbrig-graues Gestänge, alles vollautomatisiert. Und im Erdgeschoss, wo es anders als in den Etagen darüber ziemlich laut klackert, laufen die Bären vom Fließband in weiße Kisten. Alle Farben durcheinander. Der Mix, das wird hier klar, ist tatsächlich zufällig. Ein Mitarbeiter in Schutzkleidung kontrolliert. Dann geht es zu den Verpackungsmaschinen, deren Schütten den Lärm erzeugen.

Das gewisse Etwas

Immer noch ist unklar, wie der Bär so begeistern kann, dass japanische Fernsehteams eigens anreisen, um Bilder für eine Ratesendung daheim zu drehen. Dass Hotels kleine Tüten mit den Tieren in den Zimmern auslegen, um die Gäste zu erfreuen. Dass bei Konferenzen auch die die härtesten Zuckergegner schwach werden und Salatblatt und Sellerie-Sticks ignorieren. Die Maschinen hier in Grafschaft, so viel ist zu erkennen, liefern immer gleiche Form, Farbe, Härte. Nur woher kommt das gewisse Etwas?

Vielleicht liegt das Geheimnis des Bären in der Rezeptur. Was drinsteckt, steht auf der Tüte: Zucker, Gelatine, Aromen, Saft, pflanzliche Farbstoffe. Aber wie genau der Mix aussieht, wissen bei Haribo nur zwölf Mitarbeiter, darunter Andreas Lohmüller, oberster Rezeptwächter, offiziell Leiter Rezepturen und Entwicklung International. Fragen werden souverän weggelächelt. Das Marketing spricht lieber von Leidenschaft und kindlicher Freude, die bei der Produktion einfließen.

Zeit für einen Besuch bei Oliver Maier, Chef der Qualitätskontrolle. Böse Zungen behaupten, die Bären schmeckten alle gleich süß, etwas, was Maier weit von sich weist. Und was sich im Blindtest unter Rotlicht – da sehen alle Bären gleich aus – auch als falsch herausstellt. Allerdings lässt sich der Geschmack ohne die Farbe nur sehr schwer zuordnen. Die Farbe ist also wichtig. Wie auch Textur, Biss, Glanz des Bären. Alles durchdacht, alles optimiert. „Der Bär hat die perfekte Snackgröße mit Fruchtgeschmack”, sagt Maier noch.

Faszination Goldbär

Kundinnen und Kunden haben ein hochemotionales Verhältnis zu ihren Goldbären. Wird nur eine Kleinigkeit geändert, etwa ein neuer Naturfarbstoff verwendet, muss der Kundenservice zahlreiche Anrufe und Briefe beantworten. Und die sind nicht immer freundlich. Überhaupt stellen die Fans des Bären einiges mit ihm an: Packung anstechen und liegenlassen, damit die Tierchen härter werden. In Eiswürfel einsperren für den Bären im Gin Tonic. Als Dekoration auf Schokokuchen setzen oder als Passagier in Modelleisenbahnen.

Es gibt Orakel-Bücher über den Bären und eine computer-linguistische Arbeit darüber, wie die Tiere in den Tüten wohl kommunizieren. Auch ihre erotischen Phantasien wurden untersucht. Der Gummibär leuchtet als Lampe in deutschen Wohnzimmern, ein Sportartikelhersteller versah Sneaker mit ihm.

Und während man im steril weißen Testraum steht, noch kaut (Heidelbär?) und nachsinnt über diese deutsche, ja, Industrieikone, sagt Maier: „Der Erfolg ist recht simpel erklärt: Never change a winning team.” Aber das ist vielleicht zu einfach.

Der Jubilar

Gestartet ist der Bär 1922 als Tanzbär mit fünf Zentimetern Größe und in verschiedenen Geschmacksrichtungen. Über die Jahre wurde er kleiner, gedrungener und tauchte nicht mehr einzeln auf, sondern rottete sich in Tüten zusammen. 1960 wurde er aus werbestrategischen Gründen Goldbär getauft. Er ist 23 Millimeter groß, zehn Millimeter breit und wiegt 2,3 Gramm. Seit 1995 lächelt er. Im Sortiment von Haribo, allein 800 Produkte in Deutschland, ist er mit Abstand das am meisten verkaufte Produkt. Hier kennen ihn 99 Prozent der Menschen, weltweit sind es 25 Prozent.

Täglich werden etwa 16 Millionen Stück produziert. In Deutschland tummelt sich der Bär in den sechs Geschmacksrichtungen Himbeere (dunkelrot), Erdbeere (hellrot), Orange (orange), Zitrone (gelb), Ananas (weiß) und Apfel (grün). Die letzte Sorte ist erst seit 2007 dabei, vorher schmeckte der grüne Bär nach Erdbeer. Die Amerikaner allerdings kennen immer noch nur fünf Sorten. Er tritt in mehr als 100 Absatzländern gleich auf – wesentliche Ausnahmen: Für die Muslime ist er halal, für Juden koscher und für die USA knalliger gefärbt.

Der Konzern

Hans Riegel gründete Haribo 1920 in Bonn-Kessenich. Der Name ist aus den Anfangsbuchstaben von Hans Riegel Bonn zusammengesetzt. Das Unternehmen ist heute noch in Familienbesitz. Die Geschäfte führt Gründerenkel Hans Guido Riegel. 2019 zog Haribo mit der Zentrale ins rheinland-pfälzische Grafschaft um und baute auf der grünen Wiese eine neue Fabrik. Insgesamt produziert Haribo an 16 Standorten in Europa, der Türkei und Brasilien. In den USA entsteht gerade ein neues Werk für 248 Millionen Euro, standesgemäß mit der Adresse Goldbear Drive.

Für Haribo arbeiten gut 7000 Beschäftigte, 4000 davon im Ausland, wo mehr als die Hälfte des Umsatzes erwirtschaftet werden. Der Konzern ist bei Zahlen notorisch verschwiegen, unter anderem, um im harten Handelsgeschäft nicht ausrechenbar zu sein. Experten schätzen den Umsatz auf derzeit mehr als drei Milliarden Euro. Und Haribo ist trotz Großinvestitionen schuldenfrei, wie zu hören ist. Der Marktanteil in Deutschland liegt zwischen 50 und 60 Prozent.

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