Ein Chemieunfall im Baseler Werk der Firma Sandoz führt 1986 zu einem verheerenden Fischsterben im Rhein. Zwei Wochen lang kann auch kein Trinkwasser aus dem Fluss entnommen werden. In der Folge stärken die Anrainerstaaten die Internationale Kommission zum Schutz des Rheines (IKSR). Bei der Organisation mit Sitz im rheinland-pfälzischen Beamtenstädtchen Koblenz laufen seither alle Mess- und Umweltdaten des Stromes zusammen. Tabea Stötter, wissenschaftliche Mitarbeiterin der IKSR, zur Widerstandskraft von Flüssen, internationalem Gewässerschutz und klaren Regeln im Krisen-Fall.
Frau Stötter, viele vergleichen die Umweltkatastrophe an der Oder mit dem Sandoz-Unfall am Rhein von 1986. Was genau ist damals passiert?
Nach einem Brand in einer Lagerhalle der Sandoz AG nahe Basel am 1. November 1986 floss Löschwasser mit bis zu 30 Tonnen Pestiziden in den Rhein und tötete Fische und andere Lebewesen auf Hunderten von Rheinkilometern. Das Unglück hatte grenzüberschreitende Folgen. Zum ersten Mal solidarisierten sich Menschen von der Schweiz bis in die Niederlande und forderten einen besseren Schutz des Rheins ein. Der starke öffentliche Druck auf die Regierungen der Staaten im Rheineinzugsgebiet verhalf der IKSR zu wachsendem Einfluss.
Wie haben die Länder entlang des Rheins auf den Chemie-Unfall reagiert?
Die Umweltminister der Anrainerstaaten verabschiedeten in der Folge das anspruchsvolle „Aktionsprogramm Rhein” und betrauten die IKSR mit der Koordinierung und der Erfolgskontrolle. Binnen zehn Jahren sollte die eingeleitete Menge von 40 gefährlichen Chemikalien halbiert werden. Der Rhein sollte wieder so sauber werden, dass Lachse in dem Fluss leben können. Der Störfall von Sandoz wurde so zum Wendepunkt des Umwelt- und Gewässerschutzes im Rheineinzugsgebiet.
Zur Person
Die promovierte Umweltwissenschaftlerin Tabea Stötter arbeitet für die Internationale Kommission zum Schutz des Rheines (IKSR) in Koblenz. Die IKSR wurde 1950 von den Anrainerstaaten des Rhein gegründet. Ziel ist der Erhalt des Ökosystems des Flusses. Nach dem Unfall beim Chemieunternehmen Sandoz in Basel 1986 wurde die grenzüberschreitende Zusammenarbeit verstärkt. Die Organisation ist Vorbild für ähnliche Kooperationen an Elbe und Maas. Daneben gibt es die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt, die Fragen des Verkehrs auf dem Fluss regelt.
Wie funktioniert die internationale Zusammenarbeit?
Die IKSR koordiniert die Zusammenarbeit der Staaten im Rheineinzugsgebiet. Der Vorsitz der Kommission wechselt alle drei Jahre. Einmal jährlich findet zeitgleich mit dem Koordinierungskomitee Rhein die Plenarsitzung statt. Sie ist das Gremium, das Beschlüsse fasst. Für die Strategiegruppe, die die Plenarsitzung vorbereitet, bearbeiten Arbeits- und Expertengruppen mit ständigem oder befristetem Mandat alle anstehenden Fachfragen. Hierzu gehören die Bereiche Wasserqualität und Emissionen einschließlich Grundwasser, Ökologie sowie Hoch- und Niedrigwasser. Expertenteams unterstützen die Gruppen in ihrer Arbeit. Darüber hinaus stehen den internationalen Arbeitsgruppen auch national tätige Ausschüsse zur Seite. Die Rhein-Ministerkonferenzen fassen dann in politisch wichtigen Fragen Beschlüsse, die für die Regierungen bindend sind.
Wie sieht die Kooperation im Krisenfall konkret aus?
Kommt es im Rhein, Neckar, Main und kleineren Nebenflüssen trotz aller Vorsorgemaßnahmen zu einer plötzlichen Gewässerverunreinigung, greift der Internationale Warn- und Alarmplan Rhein (IWAP). Dann werden die zuständigen Behörden und die Trinkwasserwerke in den Rheinanliegerstaaten objektiv und zuverlässig gewarnt und informiert – und das rund um die Uhr. Über internationale Suchmeldungen können damit auch Verursacher ermittelt werden.
Was lässt sich mit Blick auf Meldeketten vom Rhein für die Oder lernen?
Der Internationale Warn- und Alarmplan Rhein sorgt in Krisen-Fällen für eine zuverlässige und schnelle Information aller relevanten Gruppen. Damit dies funktioniert, müssen alle Beteiligten regelmäßig geschult werden. Auch für die Oder gibt es einen solchen Warn- und Alarmplan. Wieso dieser anscheinend nicht greift, ist uns nicht bekannt.
Wie lange hat der Rhein gebraucht, um sich von der Sandoz-Katastrophe zu erholen?
Die unmittelbare Belastung durch die Sandoz-Katastrophe war relativ schnell behoben, da es sich um gut lösliche Stoffe handelte, die schnell ausgewaschen wurde. Dank des darauffolgenden „Aktionsprogramms Rhein” konnte auch die kontinuierliche Schadstoffbelastung stark reduziert werden.
In welchem Zustand ist der Rhein heute?
Der Rhein ist heute in einem weitaus besseren Zustand als damals. Dennoch gibt es noch Belastungen, die reduziert werden müssen. Die IKSR hat auf der Rheinministerkonferenz 2020 das neue Programm „Rhein 2040″ mit weitergehenden Zielen verabschiedet. So sollen Mikroverunreinigungen, zum Beispiel durch Arzneimittelrückstände, bis 2040 um mindestens 30 Prozent reduziert werden.
Vor dem Hintergrund der Erfahrungen nach dem Sandoz-Unfall. Wie lange braucht ein Flusssystem wie die Oder, um sich zu erholen?
Wie schnell sich die Oder von der jetzigen Katastrophe erholen wird, kann im Moment noch nicht abgeschätzt werden, da die Ursachen noch nicht eindeutig geklärt sind. Bei der Sandoz-Katastrophe war der Vorteil, dass die massive Belastung schnell ausgewaschen wurde. Sollte die Kontamination an der Oder beispielsweise auch das Sediment verunreinigt haben und die giftigen Substanzen dort gebunden werden, wird es deutlich länger dauern bis sich die Wasserqualität wieder maßgeblich verbessert. Die Folgen für das Ökosystem sind auf jeden Fall gravierend. Bis sich alle Arten, die jetzt beeinträchtigt wurden, erholen, wird es einige Zeit dauern.
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