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EU und russisches Gas: Sparen, drosseln, zuteilen

Wie dringend braucht die EU russisches Gas, Kohle und Öl? Wie kann eine Unabhängigkeit erreicht werden? Eine Übersicht.
Die EU-Mitgliedsstaaten wollen die Abhängigkeit von russischem Gas verringern. (Symbolbild: Antoine Schibler)
Die EU-Mitgliedsstaaten wollen die Abhängigkeit von russischem Gas verringern. (Symbolbild: Antoine Schibler)

Aktuell braucht die EU russisches Gas und Öl: rund 40 Prozent der insgesamt benötigten Menge lieferte der russische Staatsmonopolist Gazprom. Deutschland gehört als größte Wirtschaftsnation Europas zu den größten Abnehmern, der Anteil russischen Gases betrug 2021 rund 55 Prozent. Inzwischen ist er auf knapp über zehn Prozent gesunken. Die Abhängigkeit beim Öl ist deutlich geringer. Wie sieht es in anderen Ländern aus? Wie lange braucht die EU russisches Gas noch? Wer hängt besonders an der Energie? Und wie steuern sie gegen? Ein Überblick über ausgewählte Länder.

Frankreich

Deutschlands westlicher Nachbar in der EU braucht russisches Gas kaum für die Energiegwinnung. Das liegt vor allem daran, dass Frankreich sehr stark auf Atomkraft setzt. 36,5 Prozent Anteil am Energiemix hatte sie nach Zahlen des BP Statistical Review of World Energy 2021. Knapp ein weiteres Drittel entfiel auf Öl, dass die Franzosen aus unterschiedlichen Quellen auf dem Weltmarkt kaufen. Beim Gas (16,5 Prozent Anteil) stammen rund 17 Prozent aus Russland. Das meiste kommt als Flüssiggas per Schiff, ein Teil floss über Deutschland durch Pipelines, was Russland inzwischen gestoppt hat.

Frankreich will Gas in anderen Ländern einkaufen, was zuletzt nicht wie geplant lief: Im Juni war Frankreich größter Importeur von russischem LNG. Das soll sich nachhaltig ändern. Frankreich setzt auch auf Energiesparen. Präsident Emmanuel Macron sprach am Nationalfeiertag Mitte Juli von Generalmobilmachung und nannte als Sparbeispiele weniger Beleuchtung oder den Geschirrspüler nur einmal am Tag anzuschalten. Frankreich will zudem die erneuerbaren Energien schneller ausbauen. Das Land hat neben den Problemen mit russischen Gaslieferungen gerade auch Schwierigkeiten mit den Atomkraftwerken: Weil die Flüsse wegen der Hitze nur weniger Wasser führen, fehlt Kühlflüssigkeit, die Anlagen produzieren auf Sparflamme. Zudem sind viele wegen Wartung und technischer Probleme abgeschaltet.

Belgien

Belgien ist Ölland. Der Rohstoff hatte 2021 einen Anteil von fast 50 Prozent am Energiemix. Gas macht nicht einmal ein Viertel. Sonst setzt Belgien auf Atomkraft (knapp 17 Prozent). Etwas weniger als ein Drittel des Ölbedarfs deckte Belgien 2021 über Einkäufe in Russland. Beim Gas waren die Belgier kaum von Russland abhängig. Gerade einmal vier Prozent des verbrauchten Gases stammte zuletzt aus Russland.

Beim Öl hat sich Belgien bereits kurz nach dem Angriff der Russen auf die Ukraine im Februar 2022 neue Lieferanten gesucht. Auch beim Gas ist Russland nach Ansicht des Großverbraucherverbands Febelliec leicht zu ersetzen. Belgien rechnet allerdings damit, dass es andere EU-Länder unterstützen muss, sollte Russland kein Gas mehr liefern. Entsprechend stellt sich die Wirtschaft auf Sparen ein.

Niederlande

Öl und Gas sind die Hauptenergieträger in den Niederlanden. Vor allem beim Gas gehörte bisher auch Russland zu den Lieferanten, wobei die Niederlande große Mengen auch selbst fördern. 2021 bezogen die Niederlande noch etwas mehr als ein Sechstel des benötigten Gases über den staatlichen russischen Gaskonzern Gazprom. Verträge in diesem Jahr wären Ende September ausgelaufen. Gazprom hat die Lieferungen bereits im Juni eingestellt.

Angesichts des Stopps fahren die Niederlande Kohlekraftwerke wieder hoch. Die Regierung plant ohnehin, bis Ende des Jahres auf russisches Öl und Gas zu verzichten. Das Land setzt zum einen auf andere Lieferanten, zum anderen auf mehr eigene Förderung – etwa in der Nordsee. Umstritten ist, im Norden wieder mehr Gas per Fracking zu fördern. Das ist bisher deutlich zurückgefahren, weil Häuser absackten und die Region um die Großstadt Groningen von Erdbeben erschüttert wurde. Die Regierung rief zudem alle Niederländer auf, kräftig Energie zu sparen.

Dänemark

Dänemark ist Vorreiter in der EU, russisches Gas spielte in der Vergangenheit keine große Rolle. Die Dänen haben früh auf erneuerbare Energien gesetzt, vor allem Wind. Sie haben mehr als 40 Prozent Anteil am Energiemix – unangefochtene Spitze in Europa. Öl, den zweiten großen Energieträger und mit gleichem Anteil im vergangenen Jahr, kauft das Land bei unterschiedlichen Anbietern. Gas trägt zu knapp zwölf Prozent zum Energiemix bei. Den Rohstoff fördert Dänemark selbst vor der Küste, nur ein Viertel des Bedarfs kommt von anderen Ländern. Aus Russland kamen 19 Prozent der importierten Menge, bis Gazprom die Lieferungen im Juni einstellte.

Dänemark diskutiert, die eigene Gasförderung in der Nordsee auszubauen, zumindest zeitweise. Denn geplant ist der Komplettausstieg aus Kohle und Gas zugunsten von Wind und Solar. Das soll deutlich beschleunigt werden. Und die Dänen wollen Biogas stärker nutzen als bisher. Das Land ist beim Umbau zu einer fossilfreien Energieversorgung in Europa ohnehin weit vorn: Öl- und Gasheizungen dürfen in Neubauten schon seit Jahren nicht mehr installiert werden. Dänemark setzt vor allem auf Erdwärme.

Polen

Energie gewinnt Polen vor allem aus Kohle. Mit mehr als 40 Prozent Anteil am Energiemix 2021 liegt das Land in der EU weit vorn. Öl machte knapp ein Drittel aus, Gas knapp ein Fünftel. Kohle fördert Polen im eigenen Land. Fast zwei Drittel des Öls kamen zuletzt aus Russland. Im größeren Umfang bezogen die Polen auch Gas vom staatlichen russischen Konzern Gazprom.

Polen hat allerdings bereits im Mai den Liefervertrag gekündigt – nach 30 Jahren. Gas kommt nun vor allem als Flüssiggas per Tankschiff. Polen hat in Swinemünde an der Ostsee ein LNG-Terminal. Auch die Pipeline Jamal wird genutzt – nicht wie früher, um russisches Gas Richtung Deutschland zu schicken, sondern um Gas aus dem Westen nach Polen zu senden. Schwieriger wird, unabhängig vom russischem Öl zu werden. Polen setzt auf den Ölhafen bei Danzig und die Förderländer Saudi-Arabien, Kasachstan und Nigeria – bereits jetzt Lieferanten.

Tschechien

Tschechien gehört neben Polen zu den Ländern, die für ihre Energieerzeugung sehr stark auf Kohle setzen. Sie hat gut ein Drittel Anteil am Energiemix. Der Rohstoff wird vor allem im eigenen Land abgebaut. Die Tschechen sind auch Verfechter der Atomkraft, der Anteil ist im EU-Vergleich mit mehr als 16 Prozent hoch. Von Russland abhängig ist Tschechien vor allem bei Gas, 2021 kam es vollständig aus Russland. Und auch rund die Hälfte des Öls kommt durch die „Freundschaft”-Pipeline direkt von den Russen.

Ein Projekt, das Tschechien vor Jahren ablehnte, wird wieder verfolgt: neue Pipelines nach Polen zu bauen, um über deren Ostseehäfen Flüssiggas importieren zu können. Beim Öl könnte Tschechien andere Lieferanten finden. Doch die bestehende transalpine Pipeline nach Italien ist derzeit zu klein. Der Ausbau kostet Zeit. Deshalb gehört Tschechien zu den Ländern, die trotz Embargos weiter Öl aus Russland beziehen dürfen – solange das Land denn auch liefert.

Österreich

Das Land setzt in hohem Maße auf Wasserkraft. Mit mehr als 27 Prozent war sie 2021 Primärenergiequelle Nummer zwei nach Öl (mehr als 33 Prozent). Knapp 22 Prozent macht Gas aus. Im vergangenen Jahr importierte Österreich noch knapp acht Prozent seines Öls aus Russland, inzwischen nichts mehr. Anders beim Gas: 2021 kamen 80 Prozent des benötigten Rohstoffs aus Russland, in diesem Jahr stieg der Anteil zeitweise auf fast 90 Prozent.

Um sich aus der Abhängigkeit zu lösen, wird ein bereits stillgelegtes Kohlekraftwerk wieder hochgefahren. Zudem hat der Staat 6,6 Milliarden Euro bereitgestellt, um zusätzlich Gas zu kaufen und die Speicher kräftig zu füllen – so will Österreich sicherstellen, dass die Gaskraftwerke auch laufen, wenn Russland das Gas abdreht. Der teilstaatliche österreichische Hauptimporteur OMV hat sich zumindest schon Transportkapazitäten in Europa für den halben österreichischen Jahresbedarf gesichert – das durchzuleitende Gas muss allerdings noch gekauft werden.

Italien

Gas und Öl sind die mit Abstand wichtigsten Energieträger in Italien. Zusammen machen sie fast 80 Prozent am Primärenergiemix aus. 40 bis 45 Prozent des Gases stammen bisher aus Russland. Öl bezieht Italien auch aus Russland, ist aber deutlich weniger abhängig. Im Juni hat der staatliche russische Gasförderer Gazprom die Lieferungen an Italien verringert.

Regierungschef Mario Draghi arbeitet seit Monaten daran, unabhängiger von Russland zu werden. Seine Regierung arbeitet wie die deutsche an einem Zuteilungsplan für Gas, sollte kein russisches Gas mehr kommen. Italien hat bereits zusätzliche Gaslieferverträge mit Algerien geschlossen, das inzwischen zum wichtigsten Lieferanten geworden ist. Zusätzliches Flüssiggas soll aus Westafrika kommen. Vorteil für Italien: Es ist über zwei Pipelines direkt mit Algerien und Libyen und über eine weitere mit Aserbeidschan verbunden. Bereits im Frühjahr umfangreiches Energiesparpaket beschlossen, das Klimaanlagen nur auf 27 Grad kühlen öffentlichen Gebäuden.

Spanien

Fast 44 Prozent des spanischen Energieverbrauchs entfallen auf Öl, knapp 22 Prozent auf Gas, Kohle spielt, wie in vielen anderen EU-Staaten, kaum eine Rolle mehr. Spanien braucht in der EU russisches Gas nicht so dringend wie andere europäische Staaten. Bisher bezog das Land acht bis zehn Prozent seines Gases aus Russland als Flüssiggas (LNG). Größter Lieferant sind inzwischen die USA mit 35 Prozent. LNG wird an einem der sechs Terminals in Spanien angeliefert. Aus Algerien kommt weiteres Gas über zwei Pipelines.

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