Mit kleinen, schmalen Augen traten SPD-Chef Lars Klingbeil, Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang und FDP-Bundesfinanzminister Christian Lindner am Donnerstagvormittag in die Sonne vor den Bundestag. Quasi die ganze Nacht hatten sie durchverhandelt. Nun präsentierten Sie ihr zweites Paket zur Entlastung der Privathaushalte und Firmen angesichts der steigenden Energiepreise.
Die Kernpunkte: Alle steuerpflichtigen Erwerbstätigen erhalten einen staatlichen Zuschuss von 300 Euro, die Benzin- und Dieselsteuer sinkt für drei Monate um 30 beziehungsweise 14 Cent und alle Bürger können 90 Tage lang den öffentlichen Nahverkehr für neun Euro pro Monat benutzen. Die Regierung wolle die Bürger „kurzfristig und befristet schützen”, erklärte Lindner. Lang bezeichnete die Maßnahmen als „soziale Entlastung und energiepolitische Unabhängigkeitserklärung”.
Wie die Energiepreispauschale funktioniert
Die „Energiepreispauschale” von 300 Euro funktioniert so: Alle „einkommensteuerpflichtigen Erwerbstätigen” bekommen den Zuschuss demnächst zusammen mit ihrem Monatslohn von den Arbeitgebern ausgezahlt. Die holen sich die Ausgaben vom Staat zurück. Für Selbstständige wird das Finanzamt die Steuervorauszahlung um 300 Euro reduzieren. Wichtig: Der Zuschuss ist zu versteuern. Bei einem individuellen Grenzsteuersatz
von beispielsweise 30 Prozent behält das Finanzamt nächstes Jahr knapp 100 Euro davon wieder ein. Etwa 40 Millionen Erwerbstätige können sich auf die Unterstützung freuen. Wer jedoch einen Minijob macht, geht laut Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) leer aus.
Die Idee des Zuschusses stammt von SPD und Grünen. Weil die Beschäftigten pro Kopf denselben Betrag erhalten, profitieren Leute mit niedrigen Einkommen relativ stärker als Personen mit hohen Verdiensten. Diese soziale Staffelung wird durch die Versteuerung des Zuschusses unterstützt. Wer wegen des hohen Gehalts viele Steuern zahlt, muss von den 300 Euro mehr zurückzahlen als Niedrigverdiener.
Energiepreispauschale kostet etwa 7,5 Milliarden Euro
Etwa 7,5 Milliarden Euro dürfte die Pauschale den Staat kosten, hat Bach grob überschlagen. Insgesamt betrügen die Aufwendungen etwa 13,5 Milliarden Euro – ungefähr so viel wie das erste Entlastungspaket. Finanzieren will die Regierung diese Zusatzausgaben über neue Schulden im sogenannten Ergänzungshaushalt für 2022.
Grünen-Chefin Lang stellte den Quasi-Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr heraus. Das Neun-Euro-Ticket, das es drei Monate geben soll, ermöglicht der Mehrheit der Bundesbürger nahezu kostenlos in ihrer Stadt oder Region unterwegs zu sein. Millionen Leute können damit die steigenden Benzinkosten ausgleichen. Außerdem ist das vielleicht ein kleiner, aber grundsätzlicher Schritt, um die klimaschädlichen Abgase des Autoverkehrs zu verringern. Der Bund soll die finanziellen Ausfälle der Verkehrsbetriebe mit seinen Regionalisierungsmitteln an die Länder kompensieren, beschloss die Ampel.
Preissenkung an Tankstellen und Kinderbonus
Der Dritte im Bunde, die FDP, kann sich die Senkung der Energiesteuer für Autotreibstoff zugutehalten. Darauf, dass die Tankstellen die Preissenkung an die Verbraucher:innen weitergeben, will die Regierung achten. Ob die Kontrolle wirkt, bleibt abzuwarten.
Außerdem will die Ampel einen zusätzlichen Kinderbonus von 100 Euro zusammen mit dem Kindergeld ausschütten. Bezieher:innen von Sozialtransfers wie Hartz IV bekommen ebenfalls 100 Euro Extra-Überweisung. Rentnerinnen und Rentner erwähnt die Koalition in
ihrem Entlastungskatalog dagegen nicht.
Erleichterungen von 600 bis 700 Euro
Zusammen mit dem ersten Entlastungspaket der Ampel vom Februar dürften die addierten staatlichen Maßnahmen, Steuersenkungen und Zuschüsse in 2022 nun für viele Haushalte 600 oder 700 Euro erreichen. Das sind nennenswerte Erleichterungen, wenngleich sie in vielen Fällen nicht die kompletten Zusatzkosten durch höhere Gas-, Benzin- und Stromrechnungen ausgleichen.
Gleichzeitig beinhaltet der Beschluss zahlreiche Vorhaben, um den Verbrauch fossiler Energie zu vermindern, die Abhängigkeit von Russland zu verringern und die erneuerbaren Energien auszubauen. So soll ab 2024 „jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent” mit Ökoenergie laufen. Immobilienbesitzer:innen sollen alte Heizungen nach 20 Betriebsjahren
durch regenerative Modelle austauschen. Die Grünen haben durchgesetzt, dass das Ziel des Kohleausstiegs 2030 bleibt.
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