Gut eine Woche nach dem Wahltermin hat sich bereits einiges zurechtgeruckelt. Wer mit wem – nämlich eine Ampelkoalition mit SPD, Grünen und Liberalen – scheint nahezuliegen. Aber ausgemacht ist das noch lange nicht. Und zwar keineswegs, weil Olaf Scholz strategische Fehler nachzuweisen wären. Sondern weil den Sozialdemokraten in den Sondierungsgesprächen ein neues politisches Kraftzentrum begegnet.
Grüne und FDP nämlich haben etwas Neues ausprobiert. Und es funktioniert wunderbar. Statt sich wie immer in vorangegangenen Aushandlungsprozessen wie Gäste an den Tisch bitten zu lassen, haben die beiden sich diesmal verbündet. Mit ihren zusammen 210 Abgeordneten sind sie sogar vier Sitze stärker als die auch nicht gerade kleine SPD-Fraktion. Das schafft zum einen Augenhöhe. Zum anderen erhöht es die Herausforderungen, sich in Sondierungen und Koalitionsverhandlungen nicht doch noch auseinanderdividieren zu lassen.
Nochmal wird Lindner seine Partner nicht sitzenlassen
Viel wird nun über Inhalte gesprochen. Der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, lobt die „dynamischen und guten Gespräche”. FDP-Generalsekretär Volker Wissing pocht auf das liberale Wahlversprechen, keine Steuererhöhungen vorzunehmen. Wie man die hohen Kosten für all die versprochenen Segnungen im Koalitionsvertrage dann nennen will, bleibt der Kreativität der Beteiligten überlassen. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil jedenfalls erklärt schon mal vorsorglich, man werde FDP und Grüne nicht mit „roten Linien” düpieren.
Dass es tatsächlich mit der Ampel klappt, ist dennoch nicht ausgemacht. 2017 musste die Öffentlichkeit zur Kenntnis nehmen, dass die FDP mit ihrem Parteichef Christian Lindner die beiden anderen Partner sitzenließ. Das würde Lindner natürlich nicht noch einmal machen. Aber die Erkenntnis bleibt, dass man die Liberalen unbedingt für voll nehmen sollte. In den Verhandlungen über die Ampel oder ein Jamaika-Bündnis nützt die nun beiden Beteiligten des grün-liberalen Kraftzentrums.
Laschet bleibt standhaft
An diesem Dienstag treffen sich nun – nach FDP und Union am Sonntag – Grüne und Union zu einem ersten Sondierungsgespräch. Was klingt wie das übliche politische Geschäft nach einer Bundestagswahl, ist tatsächlich ein Wagnis für CDU und CSU. Denn dort ist absolut unklar, wer tatsächlich Prokura hat. Nominell ist das Armin Laschet. Der CDU-Vorsitzende hat sich zäh verharrend in der Position des Unterhändlers verschanzt. Solange es noch den Hauch einer Chance auf Regierungsführung gibt, bleibt das auch so. Einen Emissär schickt man nicht weg.
Doch selbst wenn Armin Laschet unter größten Verrenkungen Kanzler würde, wäre das keine gute Entscheidung für das Land. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu recht eine handlungsfähige und halbwegs geeinte Bundesregierung, die die brennenden Themen effektiv abarbeitet. Eine Union, deren Kanzler aus den eigenen Reihen unentwegt torpodiert würde, wäre von vornherein ein Spielball ihrer Koalitionspartner. Und genau das war es ja, was viele Wählerinnen und Wähler zunehmend abgestoßen hat: deren fortwährende Selbstbeschäftigung.
Die Neustrukturierung einer gescheiterten Partei
Schon jetzt geht es in der Union drunter und drüber. CSU-Chef Markus Söder lässt deutlich erkennen, dass er Armin Laschet gar nichts mehr zutraut. Laschets ewiger Herausforderer Friedrich Merz liegt schon auf der Lauer, letztlich doch noch CDU-Vorsitzender zu werden, wenn es schon nicht mit dem Ministeramt klappt. Und dann ist da eine immer stärker werdende Phalanx aus Jüngeren wie Noch-Gesundheitsminister Jens Spahn und Tilman Kuban, dem Chef der Jungen Union. Sie fordern den Gang in die Opposition und einen inhaltlichen und personellen Neuanfang. Spahn bringt schon jetzt einen CDU-Sonderparteitag bis spätestens Januar ins Spiel.
So oder so also kann Armin Laschet seine Tage als Vorsitzender herunterzählen. Friedrich Merz muss sich auf einen Parteinachwuchs gefasst machen, der keine Geduld mehr hat mit den Altvorderen, deren Referenzgröße immer nur Angela Merkel hieß. Die ist gerade dabei, das Kanzleramt zu verlassen. Ihre Partei hinterlässt sie als chaotischen Haufen. Aber das war schon 2020 nicht anders, als eine Mittvierzigerin aus dem Osten die entkernte Kohl-CDU übernommen hat.
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