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“Das ebnet den Weg für den intelligenten Güterzug”

Es ist ein Mammutprojekt: 400.000 Güterwagen sollen eine Digitale Automatische Kupplung erhalten. Verbandschef Malte Lawrenz erklärt, warum.
"Eine Herklusaufgabe" nennt VPI-Chef Malte Lawrenz die Einführung der Digitalen Automatischen Kupplung. (Foto: VPI / E. Schick)
“Eine Herklusaufgabe” nennt VPI-Chef Malte Lawrenz die Einführung der Digitalen Automatischen Kupplung. (Foto: VPI / E. Schick)

Das Zusammenstellen eines Güterzuges ist eine schweißtreibende Arbeit: Die schweren Kupplungen müssen noch immer von Hand verbunden werden. Das soll sich bald ändern. Die europäische Eisenbahnbranche arbeitet an der Einführung der Digitalen Automatischen Kupplung (DAK). Sie soll auch intelligente Güterzüge ermöglichen, die sich in moderne, globale Lieferketten einfügen. Im Interview spricht der Vorsitzende des Verbandes der Güterwagenhalter in Deutschland (VPI), Malte Lawrenz, über das Mammutprojekt, bis 2030 in Europa 400.000 Wagen umzurüsten – und warum es dazu auch die Unterstützung der Steuerzahlenden braucht.

Herr Lawrenz, der VPI bezeichnet die „Digitale Automatische Kupplung“ als einen Meilenstein im Schienengüterverkehr. Warum?

Wir kuppeln immer noch mit der Technologie aus dem vorvorherigen Jahrhundert – mit der Schraubenkuppelung. Da muss ein Mann zwischen die Puffer klettern, eine sehr, sehr schwere Schraubenkuppelung über den Zughaken hängen und das händisch festzurren. Das macht er bis zu 40 Mal pro Zug. Das ist alles andere als effizient. Und in Zeiten der modernen, digitalisierten Lieferketten haben wir auch keine Datenleitung durch den Zug, sondern überall nur manuelle Prozesse, die es dringend zu modernisieren gilt.

Womit sich die Branche in der Vergangenheit schwer tat…

Die Einführung der digitalen automatischen Kuppelung ist in Europa schon zweimal gescheitert. In den USA, China oder Russland ist sie hingegen schon lange Realität. Jetzt ist die Gelegenheit da, diese Kuppelung einzuführen. Und nicht nur das. Die Digitale Automatische Kupplung bringt gleichzeitig durchgehende Strom- und Datenleitungen auf den Zug. Das ebnet den Weg für den intelligenten Güterzug. Europa würde damit Wegbereiter für einen Schienengüterverkehr 4.0.

“Für die Verhältnisse im Schienengüterverkehr kommen wir mit Lichtgeschwindigkeit in dem Projekt voran. Alle Beteiligten ziehen an einem Strang, und das hat es nicht immer gegeben.”

Ist die Digitale Automatische Kuppelung also quasi die fehlende Plattform für den digitalisierten Schienengüterverkehr?

Ja, das stimmt. Bis jetzt war der Waggon ein nicht-intelligentes Stück Stahl. Nehmen wir das Beispiel Bremsprobe: Dafür muss jetzt noch immer ein Wagenmeister um den Zug gehen und sie manuell abarbeiten. Wenn wir eine Datenleitung durch den Zug haben, kann eine Bremsprobe von der Lok aus gemacht werden. Damit fällt der manuelle Aufwand weg. Daten- und Stromleitungen über den gesamten Zugverbund, erleichtern den Einsatz von digitaler Technik und Sensorik, um den Wagen permanent im Blick zu haben. So fügt sich der Schienengüterverkehr besser in moderne, globale Lieferketten ein.

Wie viel produktiver kann der Schienengüterverkehr mit der Digitalen Automatischen Kuppelung werden?

Sie ist ein Enabler für zahlreiche Prozesse und Innovationen. In Summe ist deren Wirkung enorm. Bleiben wir mal beim Beispiel automatisierte Bremsprobe. Mit ihr können wir die Zugabfertigung um bis zu 45 Minuten beschleunigen. Und das bei jedem Stopp. Damit erzeugen wir eine erhebliche Zeitersparnis. Züge fahren nämlich selten in einem Rutsch vom Start- zum Zielort. Schnelleres und unkompliziertes Zusammen- und Bereitstellen der Züge wirkt sich auch positiv in den Rangierbahnhöfen aus. Deren Kapazität lässt sich damit spürbar steigern. Wir reden hier von etwa 40 Prozent.

VPI-Symposium

Am 11. Januar diskutiert das VPI-Symposium über die Digitale Automatische Kupplung. Expertinnen und Experten informieren über Technik, Finanzierung, Migration sowie Kosten- und Nutzen. Das Symposium kann kostenlos online im Livestream verfolgt werden.

Nun ist die Einführung der DAK schon zweimal gescheitert. Was stimmt Sie zuversichtlich, dass es diesmal klappt?

Weil wir für die Verhältnisse im Schienengüterverkehr mit Lichtgeschwindigkeit in dem Projekt vorankommen. Weil alle Beteiligten an einem Strang ziehen, und das hat es nicht immer gegeben. Wir sind in einem Markt mit unterschiedlichsten Spielern unterwegs: von den Eisenbahnverkehrsunternehmen über die Wagenhalter bis zur nationalen und europäischen Politik. Da gibt es unterschiedliche Interessen, aber alle haben erkannt, dass wir so nicht weitermachen können und die Wettbewerbsfähigkeit des Schienengüterverkehrs erhöht werden muss. Eine solche Einheit habe ich in meinem Berufsleben noch nicht erlebt.

“Das ist eine Herkulesaufgabe. Aus meiner Sicht handelt es sich um die komplexeste Aufgabe, die die Branche jemals angepackt hat.”

Was muss denn nun alles noch bewältigt werden, damit 2030 die Güterwagen tatsächlich umgerüstet sind?

Technisch sind wir schon ein gutes Stück vorangekommen. Der Kuppelungskopf ist ausgewählt und der Demonstrator läuft. Das ist ein Prozess, der in den nächsten zwei Jahren hoffentlich abgeschlossen ist. Dann haben wir das riesige Thema der Migration, also wie die Umrüstung von 400.000 Wagon und 20.000 Lokomotiven von den alten auf die neuen Kuppelungen abläuft. Das ist eine Herkulesaufgabe. Aus meiner Sicht handelt es sich um die komplexeste Aufgabe, die die Branche jemals angepackt hat. Ein großes Thema ist auch die Finanzierung. Da müssen europäische und nationale Fördertöpfe aufgesetzt werden. Denn ein Wagenhalter wird schwerlich 20.000 Euro in einen Wagen investieren, wenn der Return unklar ist. Die Mitglieder, die wir haben, sind alle privatwirtschaftlich organisiert, haben Investoren, denen man es schwerlich erklären kann, wenn der Ertrag unklar ist.

Sie haben zuvor erwähnt, dass die Digitale Automatische Kuppelung eine höhere Produktivität bringt und die Unternehmen wirtschaftlichen Nutzen daraus ziehen. Warum muss der Steuerzahler dann privaten Unternehmen trotzdem helfen?

Es sind die Wagenhalter, die ihre Wagen umrüsten müssen. Dafür ist ein sehr hoher Mitteleinsatz nötig, der für einen Wagenhalter nicht darstellbar ist. Diese Investitionen rechnen sich allenfalls sehr, sehr langfristig, aber das können sie nicht in Geschäftsplänen erfassen. Der Nutzen fällt hier nicht bei denen an, die die Investitionen tragen müssen, sondern in erster Linie bei den Eisenbahnverkehrsunternehmen, die die Wagen von A nach B bringen. Sie sparen Personal ein und können mit intelligenteren Zügen arbeiten.

Warum können die Wagenhalter den Eisenbahnverkehrsunternehmen nicht einfach höhere Preise in Rechnung stellen, und damit einen Teil der Produktivitätsgewinne abschöpfen?

Weil die Eisenbahnverkehrsunternehmen häufig nicht die Mieter der Wagen sind, sondern große Konzerne, die ihre Waren per Eisenbahn verschicken. Sie mieten die Wagen an, verladen die Waren und vergeben den Transport der Wagen an das wettbewerbsfähigste Eisenbahnverkehrsunternehmen. Wir Wagenhalter haben also häufig gar keine Geschäftsbeziehungen mit den Eisenbahnunternehmen.

“Diese Fragen quälen eigentlich jeden. Alle wollen wissen, wie es laufen soll. Die Migration ist eine super-komplexe Sache.”

Wie muss man sich nun den Umstellungsprozess von der herkömmlichen auf die moderne Kuppelung konkret vorstellen? Wird da Zug für Zug umgestellt? Oder Land für Land? Oder auf bestimmten europäischen Güterverkehrsstrecken?

Genau diese Dinge werden intensiv diskutiert. Denn diese Fragen quälen eigentlich jeden. Alle wollen wissen, wie es laufen soll. Die Migration ist eine super-komplexe Sache. Derzeit arbeiten hochkarätige Expertinnen und Experten in Arbeitsgruppen des European DAC Delivery Programme daran, Antworten zu finden. Es gibt unterschiedliche Modellansätze nach Branchen, Ländern, Clustern, Wagenpaare, etc. Wir werden solche Fragen auf unserem Symposium kommende Woche besprechen. Klar ist: So ein Systemwechsel muss möglichst glatt über die Bühne gehen, sonst riskieren wir Lieferengpässe.

Wenn bis 2030 das System umgestellt sein soll, wann muss die Umrüstung beginnen?

Wenn die entsprechenden Ergebnisse aus den Praxistests zeitgerecht vorliegen, wollen wir 2024 loslegen.

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