Der Mangel an guten Arbeitskräften nimmt zu. Die Unternehmen müssen sich darauf einstellen und jungen Leuten mehr bieten als nur ein gutes Gehalt. Als einer der größten Arbeitgeber in Deutschland kennt die Deutsche Bahn die Erwartungen der Arbeitnehmer gut. Es geht ihnen nicht mehr nur um Geld, sondern auch um eine Sinn stiftende Tätigkeit, weiß Kerstin Wagner. Die Betriebswirtin leitet seit zehn Jahren die Personalgewinnung des Konzerns.
Frau Wagner, aktuell fragen sich viele, wo die vielen fehlenden Beschäftigten aus der Gastronomie oder dem Luftverkehr geblieben sind. Die DB hat allein im ersten Halbjahr 18.000 neue Leute eingestellt. Waren darunter auch viele Quereinsteiger aus anderen Branchen, etwa Piloten?
Wir haben unser Einstellungsziel in diesem Jahr sogar noch einmal um 15 Prozent auf 24.000 aufgestockt. Dabei schauen wir auch auf Branchen, in denen der Bedarf nicht mehr so groß ist. Das war während der Pandemie in der Luftfahrt ja der Fall. Seit Ende 2020 haben wir aus dieser Branche mehr als 3.000 Bewerbungen gehabt und 400 Zusagen gemacht. Das war aber in Kooperation mit den Firmen aus der Luftfahrt, nicht in einer Konkurrenz zu ihnen. Es ist auch nur ein kleiner Teil unserer Einstellungsoffensive.
Der Arbeitsmarkt verändert sich durch den Fachkräftemangel. Was müssen Arbeitgeber heute über ein gutes Einkommen hinaus anbieten, um im Wettbewerb um gute Leute zu bestehen?
Wir haben vom Schüler über Fachkräfte wie Lokführer bis hin zu Akademikern über 500 Berufe vertreten. Dadurch haben wir einen sehr guten Überblick über die Erwartungen der Bewerberinnen und Bewerber. Natürlich spielt das Einkommen eine wichtige Rolle, aber eben nicht mehr allein. Erste Frage ist, ob die Aufgabe spannend ist. Neu ist ein zweiter Aspekt. Handelt es sich um eine sinnvolle Aufgabe, hinter der ich stehen und mit der ich einen Beitrag zu aktuellen Themen wie dem Klimaschutz leisten kann? Bei uns ist es die Frage, wie die Verkehrswende geschafft werden kann. Auch Diversität ist ein großes Thema geworden. Die Kandidaten fragen, was wir dafür tun. Außerdem stehen die Themen Sicherheit des Arbeitsplatzes oder der Entwicklungs- und Aufstiegschancen auf der Liste der Bewerber.
„Die Arbeitszeiteinteilung soll zum Lebensentwurf passen.”
Welche Rolle spielen weiche Faktoren wie Sabbaticals, Homeoffice oder familienorientierte Arbeitszeiten beim Recruiting?
Flexibilität hat einen hohen Stellenwert. Das heißt, die Arbeitszeiteinteilung soll zum Lebensentwurf passen. Wir bieten zum Beispiel alle Stellenausschreibungen auch als Teilzeit an. Wichtig ist vielen, nicht umziehen zu müssen, sich bei vielen Jobs für mobiles Arbeiten entscheiden zu können oder den Schichtdienst an persönlichen Bedürfnissen auszurichten. Ein Plus ist auch die Wahlmöglichkeit zwischen mehr Geld oder mehr Urlaub.
Die Bahn sorgt seit geraumer Zeit eher für negative Schlagzeilen und jede Menge Häme. Trotzdem ist sie ein beliebter Arbeitgeber. Wie sind die unterschiedlichen Wahrnehmungen zu erklären?
Das Image als Arbeitgeberin ist stark, wenn es neben einer spannenden und sinnstiftenden Aufgabe unter anderem auch eine tolle Unternehmenskultur gibt und es den Leuten Spaß macht, zur Arbeit zu gehen und etwas zu bewegen. Danach wird immer gefragt. Es ist unsere Aufgabe, diese Rahmenbedingungen auch gut zu kommunizieren. Und das gelingt uns: Wir hatten allein im letzten Jahr rund 450.000 Bewerbungen.
„Man muss die Zielgruppe auch erreichen. Das ist bei einem kleinen Betrieb nicht anders als bei einem Konzern.”
Einen besonders großen Mangel an Fachkräften verzeichnet das Handwerk. Wie machen Sie die Ausbildung im handwerklichen oder technischen Bereich jungen Leuten schmackhaft und was können kleine Handwerksbetriebe daraus lernen?
Ich muss als Unternehmen klar herausarbeiten, was ich bieten kann und wofür ist stehe. Wichtig ist da zum Beispiel eine moderne Ausbildung mit einer modernen Ausstattung. Steht das Unternehmen für gesellschaftlich relevante Kernthemen? In einem nächsten Schritt muss ich die Zielgruppe auch erreichen. Das ist bei einem kleinen Betrieb nicht anders als bei einem Konzern. Das Unternehmen identifiziert, wo es die Schülerinnen und Schüler findet und wie sie angesprochen werden wollen. Wichtig ist zum Beispiel eine moderne Homepage und ein einfacher Bewerbungsprozess, das heißt mit wenig Schritten zur Bewerbung, ohne Anschreiben. Das haben wir einfach abgeschafft, weil es eine große Hürde für die Schülerinnen und Schüler ist. Man kann auch zu einem Event einladen und das Unternehmen erleben lassen. Das sind nur Beispiele, wie man einen Betrieb attraktiv machen kann.
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