Alle wollen jetzt den Planeten retten. Der Discounter Lidl beispielsweise prüft derzeit eine Art Ökoampel, die aufgedruckt auf Joghurt, Tee und anderem zeigen soll, wie nachhaltig das Lebensmittel ist. Eco-Score nennt sich das – fünf Buchstaben, ein dunkelgrünes A steht für die besten Werte, am Ende der Skala das rote E für die schlechtesten. Oder: die Drogeriekette dm. Sie stellt eine neue Eigenmarke in ihre Regale: „Pro Climate“ heißt sie, darunter steht: „umweltneutrales Produkt“. Ist das mehr als nur ungewohntes Marketing?
„Ja, wir gucken uns die Entwicklung in den nächsten Monaten weiter an, aber es erscheint beides glaubwürdig und sinnvoll“, sagt Jana Fischer von der Verbraucherzentrale Hamburg. Sie hat sich mit den neuartigen Labeln wie bisher sonst kaum jemand beschäftigt. „Klimaneutrale oder CO2-neutrale Produkte gibt es schon überall, Knäckebrot, Kosmetik, Konserven“, sagt sie. Unternehmen glichen dann die bei der Herstellung der Produkte anfallenden CO2-Emissionen mehr oder weniger aus, indem sie beispielsweise Bäume pflanzen oder Klimaschutzprojekte unterstützen. „Das ist nun der nächste Schritt“, meint Fischer. Die Handelsketten nähmen sich auch andere Umweltwirkungen vor – im Sinne ihrer Kunden.
Umweltneutralität trifft den Nerv der Zeit
Der Trend ist eindeutig. Nicht nur verhandeln Union und SPD im Berliner Regierungsviertel derzeit eine Verschärfung des Klimaschutzgesetzes, weil das Verfassungsgericht mehr Verbindlichkeit im Kampf gegen die Erderhitzung angemahnt hat. Auch die „Fridays-For-Future“-Klimabewegung macht Druck. Unternehmen werden immer öfter einem Nachhaltigkeitscheck unterzogen. Überhaupt liegt den Deutschen die Umwelt so stark am Herzen wie seit den 80er Jahren nicht mehr. Das erklärte erst vor wenigen Tagen der Präsident des Umweltbundesamtes Dirk Messner.
Denn regelmäßig wird die Einstellung der Deutschen zu Umweltfragen in einer repräsentativen Studie erfragt. Messner stellte die neuen Daten für 2020 zusammen mit Bundesumweltministerin Svenja Schulze vor. Damals, so meinte er, habe die Menschen der saure Regen und das Waldsterben, später dann die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl gesorgt. Heute seien es Dürren, Bienensterben, Plastikmüll. So hielten derzeit 65 Prozent der Bevölkerung Umwelt- und Klimaschutz für ein sehr wichtiges Thema. Trotz Corona-Krise. Das war in der weltweiten Finanzkrise vor gut zehn Jahren noch anders.
Expertin hält Umweltneutralität nicht für Greenwashing
Nur: Wäre es nicht besser, Öko-Produkte zu kaufen anstatt sich auf ein „umweltneutral“-Versprechen oder einen „Eco-Score“ zu verlassen? „Sicher“, sagt Verbraucherschützerin Fischer, „aber immerhin ist das kein Greenwashing, andere bilden Oliven auf eine Creme-Tube ab, werben mit ‘natürlichem Wasser’, kommen umweltfreundlich daher, sind es aber nicht.“ Der entscheidende Unterschied für sie: Lidl und dm haben sich ihre Label nicht einfach selbst ausgedacht.
Den Eco-Score gibt es schon seit Anfang des Jahres in französischen Supermärkten, er wurde dort von zehn französischen Unternehmen zusammen entwickelt. Berücksichtigt werden insgesamt 16 Kriterien, wie CO2-Fußabdruck, Wasser- und Landverbrauch. Hinzu kommen beispielsweise die Art der Verpackung, auch der Transport. Kriterien wie der Einsatz von Antibiotika und Pflanzenschutzmitteln oder das Tierwohl spielen allerdings keine Rolle.
In Frankreich kritisierten darum Umweltschützer, dass das Label Produkte aus intensiver Landwirtschaft womöglich zu gut bewerte. Befürworter entgegneten, dass sie sich der Grenzen des Scores bewusst seien, Verbraucher aber profitierten. So werde ein Weiderind aus Frankreich einen besseren Score haben als Fleisch von einem Rind aus Brasilien, das nie auf der Weide war. Fischer sagt: „Wenn ein Produkt ein grünes A oder B trägt, ist das eine gute Wahl.“
Um Umweltneutralität zu erreichen, setzt dm auch auf Kompensation
Die dm-Drogeriekette hat ihr Pro Climate-Sortiment – dazu gehören etwa Duschgel, Sonnencreme, Waschmittel – von Wissenschaftlern der Technischen Universität Berlin mit entwickeln lassen, um die Folgen für Klima, Überdüngung, Versauerung, Sommersmog und Ozonabbau möglichst klein zu halten. Sie haben die Verpackungen optimiert, auch die Inhaltsstoffe. Trotzdem bleiben Ökoschäden. Um diese auszugleichen und umweltneutral zu werden, haben Experten nach Standards des Umweltbundesamtes die Umweltkosten pro hergestelltem Produkt errechnet. Den Betrag will dm investieren – und Flächen in Deutschland kaufen, die durch Industrie- und Bergbauwirtschaft beeinträchtigt wurden. Das Essener Kompensationsunternehmen Heimaterbe soll diese bewirtschaften und renaturieren.
Noch ist offen, ob sich die Nachhaltigkeitslabel durchsetzen. Lidl wird den Eco-Score jetzt erst einmal in seinen Berliner Filialen testen. Verbraucherschützerin Fischer ist längst entschieden. Sie will keinen schwer zu durchblickenden Label-Dschungel. Sie wünscht sich „ein staatliches, gut kontrolliertes Nachhaltigkeitssiegel mit strengen Kriterien.“