Es gibt den Hering, den Barsch oder die Forelle. Doch ganz oben auf dem Speisezettel vieler Menschen steht der Lachs. Roh, geräuchert oder gebraten. Die Nachfrage ist groß. In Norwegen und Chile sind Lachsfarmen entstanden, in denen hunderttausende Fische in Käfigen im Meer großgezogen werden. Das hat mehr mit Landwirtschaft als mit Angeln zu tun. Fisch-Farming nennt sich das. Firmen wie der norwegische Weltmarktführer Mowi mit seinen 12.000 Beschäftigten haben daraus ein fettes Business gemacht. Die Fisch-Farming-Industrie gehört in Norwegen zu den wichtigsten Exportbranchen des Landes. Von dort aus wird der Fisch – meistens per Flugzeug – in alle Weltregionen exportiert.
Der Hunger nach Fisch ist gewaltig. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hat sich der menschliche Pro-Kopf-Fischkonsum in den vergangenen sechs Jahrzehnten mehr als verdoppelt. 2017 lag er demnach bei 20,3 Kilogramm. Gleichzeitig nimmt das Angebot an Wildfisch ab. Der meiste Fisch kommt mittlerweile aus Aquakulturen im Meer.
Lachszucht in Aquakulturen im Meer führt zu riesigen Schäden
Doch die Schäden, die die Aquakultur verursacht, sind inzwischen unübersehbar. Die auf engstem Raum zusammengepferchten Lachse sind ein Festmahl für die Lachslaus, die sich in den Fischkäfigen wunderbar ausbreiten kann und die Fische tötet. Gegen die harte Chemie, die die Fischfarmer ins Wasser kippen, ist sie immun geworden. Die Alternativen, die Tiere mit hohem Druck zu schrubben oder abzuspülen, enden oft tödlich. Und Impfungen sind laut Tierschützern für die Lachse sehr schmerzhaft.
„In den vergangenen Jahren ist die Branche viel größer und noch viel gieriger geworden. Sie ist außer Kontrolle geraten und kann tun und lassen, was sie will“, so Kurt Oddekalv vom Umweltschutzbund in Bergen. 2010 hatte er einen umfassenden Rapport zum Fisch-Farming vorgelegt. Neben dem Problem mit der Lachslaus ging es darin auch um Zuchtlachse, die ins freie Meer gelangen und dort ihre natürlichen Kollegen gefährden. Und um das Karotinoid Astaxanthin, mit dem die Farmer darauf reagieren, dass Lachse kaum noch Krabben zu fressen bekommen. Das Astaxanthin soll dafür sorgen, dass die Fische trotzdem rotes Fleisch bilden. „Alles in der Umgebung der Fischfarmen stirbt daran”, so Oddekalv.
Als ob das nicht genug wäre, stehen auch noch Algenblüten und Unmengen Fäkalien auf der Liste der von der Aquakultur verursachten Schäden. “Man hat unter dem Käfig einen Meter oder mehr, der aus Fäkalien und verrottendem Futter besteht, und das ist das Ekelhafteste, was man sich vorstellen kann”, erläutert Daniel Pauly, Professor für Fischerei an der Universität von British Columbia in Kanada. “Manchmal wird dieses Zeug bei einem Sturm aufgewirbelt und tötet alle Fische.”
Gewaltige Kapazitäten geplant für Zucht von Lachs an Land
Johan Andreassen gehört zu denjenigen, die das System verändern wollen. Der Norweger ist ein Fisch- und Nachhaltigkeitsfan. Und ein Pionier. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet er an einem neuen Zuchtsystem. Fisch-Farming an Land. Seine Firma Atlantic Sapphire ist der Weltmarktführer in diesem Bereich. Sie hat als eines von wenigen Unternehmen schon eine laufende Produktion. Mit ihren Fischfarmen versucht sie den natürlichen Lebenszyklus der Lachse zu immitieren. Aufzucht in Süßwaßerbecken, danach Wechsel ins Salzwasser. Die Isolierung von der Umwelt und ausgeklügelte Technologie sollen verhindern, dass Krankheiten eingeschleppt werden.
Die Idee, Fisch an Land zu farmen, verbreitet sich derzeit fast so schnell wie die Lachslaus. Das Fachmagazin Salmon-Business zählte zum Jahresende 2020 ganze 73 Unternehmen in dem Bereich und ständig kämen neue hinzu. Führend dabei: Norwegen, die USA und China. Doch selbst in den Schweizer Alpen, im Wallis, steht eine Lachsfarm. Aufgerufen wird pro Projekt gerne mal eine Jahresproduktion von 100.000 Tonnen. Das entspricht der Lachsjahresproduktion von Kanada.
Alle Projekte zusammengenommen, zählte Salmon-Business Ende 2020 eine potenzielle künftige Zuchtkapazität an Land von 1,76 Millionen Tonnen. Derzeit liegt die Weltproduktion von Lachs aus Aquakultur bei 2,7 Millionen Tonnen. Es wird also ganz groß angerichtet.
An Land gibt es auch Probleme – es sind nur andere
Dem Stichwort “potenziell” kommt allerdings mehr Bedeutung zu, als man denken könnte. Denn erstens ist der Aufbau der Projekte teuer. Die Firma Swedish Quality Salmon beziffert die Kosten für ihre Farm bei Göteborg auf 1,7 bis zwei Milliarden Euro. Solche Summen müssen Investoren erst einmal aufbringen. Zweitens ist es auch an Land ein schwieriges Unterfangen, große Fischbestände gesund zu halten. Ob das zu ökonomischen Preisen funktionieren kann, wird sich zeigen müssen.
Was die Gesundheit der Fische betrifft, sind die potenziellen Fehlerquellen vielfältig: Ein zu hoher Kohlendioxidgehalt im Wasser, das Eindringen von Bakterien, eine Überlastung des Filtersystems oder auch ein simpler Stromausfall, der das Kreislaufsystem zum Stillstand bringt, können verheerende Folgen haben.
Fisch-Farming-Pionier Andreassen hat mehrfach bittere Erfahrungen gemacht. Im März 2021 hat Atlantic Sapphire in der Anlage in Florida 500 Tonnen Fisch verloren, fast die Hälfte der Gesamtproduktion im ersten Quartal. Der Grund waren technische Probleme. Im Juli kam es während Wartungsarbeiten in der Anlage in Dänemark zu erhöhter Fischsterblichkeit. Ende August ging dem Unternehmen – wiederum in Florida – fast der Sauerstoff für das Wasser aus, weil infolge der wieder aufflammenden Covid-Pandemie die Nachfrage nach Sauerstoff (von Krankenhäusern) in die Höhe schoss und das Angebot knapp wurde. Und als wäre das alles nicht schon schlimm genug gewesen, brannte Mitte September die dänische Anlage aus ungeklärten Gründen fast komplett ab. Mehr als 300.000 Fische starben.
Der Land-Lachs soll deutlich nachhaltiger sein
Auf das Erreichte ist Andreassen gleichwohl stolz. Im September 2021 war die Anlage in Florida – gesprochen wird von einem Bluehouse (in Anlehnung an das Greenhouse, dt. Treibhaus) – in Betrieb genommen worden. Als erste kommerzielle Lachszucht an Land in den Vereinigten Staaten. “Ein ein Jahrzehnt alter Traum ist wahr geworden, Fisch an Land, beim Konsumenten zu züchten.” Nun soll die Produktion hochgefahren werden und bis 2031 deutlich mehr als 200.000 Tonnen Lachs pro Jahr abwerfen.
Die Protagonisten der Fischzucht an Land werben unermüdlich für die Vorteile der Methode. Dadurch, dass das Wasser im Kreislauf geführt und immer wieder aufbereitet werde, werden laut Atlantic Sapphire 99 Prozent Wasser gespart. Fäkalien können entsorgt werden und landen nicht im Meer. Der Fisch soll frei von Antibiotika, Parasiten und Mikroplastik sein.
Der Verschmutzung der Meere und der Gefährdung der Wildlachse werde ein Ende gesetzt, so das Unternehmen. Und lange und klimaschädliche Transportwege können vermieden werden, wenn der Fisch dort heranwächst, wo er gegessen wird. Außerdem wird daran gearbeitet, die Lachse mit Insekten zu füttern statt mit Meerestieren. Herkömmliches Fischmehl ist in der Fütterung bereits zu 25 Prozent durch Algenöl ersetzt worden. Die Energie, die zum Filtern und Umwälzen der riesigen Wassermengen benötigt wird, soll aus erneuerbaren Quellen kommen.
Preislich sind die Land-Lachse teurer als die Meereszuchten. Das Unternehmen Sustainable Blue aus Kanada verlangt 18 bis 20 kanadische Dollar, während das herkömmliche Produkt für etwa 13 Dollar zu bekommen ist. Mit steigenden Mengen dürften die Preise aber sinken. Vermarktet werden die Lachse als Premium-Produkte und treffen auf begeisterte Käufer.
“Das ist lächerlich”, sagt ein Fischmanager der alten Schule
Der Trend zum Umweltschutz dürfte den innovativen Lachsfarmern in die Karten spielen. Je besser sie sich als veritable Alternative zu herkömmlichen Methoden profilieren können, desto größer wird der Regulierungsdruck für die Konkurrenz. Die kanadische Regierung hat bereits damit begonnen, den lokalen Herstellern strengere Regeln aufzuerlegen.
Der Fischmanager Alan Cook, tätig für den Aquakultur-Marktführer Mowi, glaubt allerdings nicht, dass die Landproduktion bis zum Ende des Jahrzehnts schon bis zu 30 Prozent des Weltmarktes abdecken wird. “Das ist lächerlich”, kommentierte er solche Prognosen von Investmentbankern. Immerhin würde diese Menge der gesamten Produktionskapazität des Aquakultur-Riesen Chile entsprechen.
“Die chilenische Industrie hat mehr als 30 Jahre gebraucht, um ihr heutiges Produktionsniveau zu erreichen, und der Weg war weder glatt noch einfach”, so Cook. “Die Lachszucht an Land ist mindestens genauso schwierig wie die Lachszucht in Meereskäfigen, wenn nicht noch schwieriger. Dieses Segment mag sich mit der Zeit als erfolgreich erweisen, aber viele dieser Projekte werden es nicht bis zur Ziellinie schaffen.”
Investor: Herkömmlichen Lachsfarmen wird es wie Ölkonzernen ergehen
Eine Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Investor Al Cohen erinnerte daran, “was die grüne ESG-Bewegung mit Öl und Gas macht. Die gleiche Welle wird die herkömmliche Aquakultur erfassen. (…) Landgestützte Meeresfrüchte werden den Markt dominieren. (…) Was jeder vergisst, ist das ESG-Regulierungsrisiko. Kein Investmentbanker kalkuliert das jetzt schon ein. Es wird kommen.” Mit ESG sind die ökologische und soziale Verantwortung und die gute Unternehmensführung gemeint.
Bezahlt macht sich das Geschäft für Atlantic Sapphire noch lange nicht. 17 Millionen US-Dollar Umsatz standen 2021 satte 133 Millionen Dollar Verlust gegenüber. Die beiden größten Posten waren Kosten für den Aufbau der Fischbestände in Florida sowie der Verlust der Anlage in Dänemark (für den allerdings eine Erstattung durch die Versicherung erwartete wird). Investoren werden das Unternehmen noch eine Weile finanzieren müssen. Ob es jemals profitabel wird? Offen.
Der Landgang der Lachse. Eine Story mit vielen Unbekannten.
Der Börsen-Butler ist bei Atlantic Sapphire investiert. Er möchte bei dieser faszinierenden Story dabei sein. Die Aktie ist von ihrem Hoch bei rund 150 norwegischen Kronen (14.60 Euro) wege der vielen Probleme auf rund 26 Kronen zurückgekommen. Hochspekulativ und deswegen ein Depotanteil von 0,3 Prozent.