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Ex-SBB-Chef: Deftige Kritik an deutscher Eisenbahnpolitik

“Die machen Dinge, bei denen ich mir nur an den Kopf fassen kann”, sagt der Ex-Chef der Schweizerischen Bundesbahnen Benedikt Weibel.
Wie schnell ist die Bahn? ICE am Frankfurter Hauptbahnhof. (Foto: jco)
Wie schnell ist die Bahn? ICE am Frankfurter Hauptbahnhof. (Foto: jco)

Bekannt sind die Schweizer für ihre Diplomatie. Doch die Worte des langjährigen Chefs der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB), Benedikt Weibel, könnten deutlicher nicht sein. Er übt scharfe Kritik an der deutschen Eisenbahnpolitik. “Die machen Dinge, bei denen ich mir nur an den Kopf fassen kann”, sagte Weibel am Mittwoch im Schweizer Radio. Anlass war ein Gespräch zum 40-jährigen Jubiläum der Einweihung der ersten TGV-Strecke in Frankreich.

Weibel ist einer der renommiertesten Eisenbahner Europas. Er war von 1993 bis 2006 Chef der SBB. Unter seiner Leitung wurde das Schweizer Eisenbahnnetz auf möglichst geringe Gesamtreisezeiten und höhere Kapazitäten optimiert. 2004 vollzog er den größten Fahrplanwechsel in der Schweizer Bahngeschichte. Außerdem war Weibel Verwaltungsrat der französischen Staatsbahn SNCF und Präsident des Internationalen Eisenbahnverbandes. Derzeit ist der 74-Jährige Aufsichtsratsvorsitzender der österreichischen Westbahn.

Weibel: Statt teurer Prestigeprojekte des bestehende Netz optimieren

Statt um teuere Neubauprojekte müsse es um die Optimierung des bestehenden Netzes gehen, so Weibel. Die Schweiz habe das mit “Bahn 2000” vorgemacht. Dafür sei nur eine Strecke von 48 Kilometern komplett neu angelegt worden. Mit rund 130 weiteren, vergleichsweise günstigen Projekten habe man die bestehende Infrastruktur verbessert. Das habe gereicht, um das gesamte Netz deutlich leistungsfähiger zu machen.

Mit “Bahn 2000” wurden Fahrzeiten zwischen Knotenbahnhöfen auf unter 30 respektive 60 Minuten reduziert, so dass Züge immer kurz vor der halben respektive vollen Stunde in die Bahnhöfe einfahren und kurz danach wieder abfahren. So wurden kurze Umstiegszeiten für alle möglich. Die Reisenden sollten von jedem Bahnhof aus möglichst schnell an ihr Reiseziel kommen statt nur auf Hochgeschwindigkeitsstrecken zwischen wenigen Städten. Das sollte, so Weibel, gerade auch für ein Land wie Deutschland gelten.

“Einfach extreme Fehler gemacht”, so Weibel

Frankreich oder Spanien hätten eine ideale Struktur für den Hochgeschwindigkeitsverkehr, so Weibel. In beiden Ländern seien die großen Städte weit voneinander entfernt. In Deutschland seien hingegen zum Teil sehr viele Städte auf engstem Raum und das Netz eng und verwoben. Als Beispiel nennt er den Bereich Frankfurt, Köln, Duisburg, Dortmund. Zwischen Frankfurt und Köln fahre der Zug zwar auch mal 300 Kilometer pro Stunde schnell, doch Unterwegshalte senkten die tatsächliche Durchschnittsgeschwindigkeit drastisch.

“Die Aufgabe ist es, ein System zu designen, das den Gesamtverkehr verbessert”, so Weibel. Er sei erstaunt, dass diese Idee in Deutschland noch nicht weiter sei. “Die machen Dinge, bei denen ich mir nur an den Kopf fassen kann.” Das Schweizer Projekt “Bahn 2000” habe sechs Milliarden Franken gekostet. “Jetzt bauen die den Bahnhof Stuttgart aus, Stuttgart 21. Am Schluss wird das zehn Milliarden Euro kosten und der Netzeffekt ist an einem ganz kleinen Ort. Die haben einfach extreme Fehler gemacht.”

Arbeit an Deutschlandtakt schreitet voran

Seit rund zwölf Jahren gibt es allerdings auch hierzulande Planungsarbeiten für einen sogenannten Deutschlandtakt. Er soll wesentliche Elemente des Schweizer Systems enthalten wie optimierte Eisenbahnknoten, verkürzte Fahrzeiten zwischen den Knoten und verbesserte Umstiegsmöglichkeiten. Mit der Strecke München-Lindau-Zürich wurde Ende vergangenen Jahres ein erstes Teilprojekt umgesetzt.

Im August dieses Jahres wurde der Abschlussbericht für den Zielfahrplan vorgestellt. Erarbeitet hat ihn ein Konsortium unter Führung der Schweizer Verkehrsberatung SMA und Partner. Er enthält 181 Infrastrukturprojekte für ein leistungsfähigeres Netz.

Der volkswirtschaftliche Nutzen wird auf 43,4 Milliarden Euro taxiert, die Gesamtkosten auf 30 Milliarden Euro. Das Konzept soll schrittweise umgesetzt werden. Bis zur vollständigen Realisierung dürften noch viele Jahre vergehen.

“Nach dem Krieg war alles Auto, überall”

Die Einweihung der ersten TGV-Strecke am 22. September 1981 zwischen Paris und Lyon lobte Weibel als “ein unglaublich wichtiges Ereignis für den europäischen Schienenverkehr”. Es sei ein Kipppunkt gewesen, da bis dahin in Europa im Schienenverkehr vor allem abgebaut worden sei. “Nach dem Krieg war alles Auto, überall”, so Weibel. “Die Bahn war geschichtlich gesehen auf dem absteigenden Ast.”

Dass es zur Trendwende gekommen sei, habe man den Japanern zu verdanken, die in den 50er-Jahren auf Hochgeschwindigkeitsstrecken gesetzt hätten, um ihre Verkehrsströme noch bewältigen zu können. Frankreich habe diese Idee dann übernommen.

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