Früher besser informiert.
Meine Abonnements
  • Sie sind nicht eingeloggt.

Umweltministerin Lemke: „Moore sollen wieder vernässt werden”

Im Gespräch erklärt Ministerin Steffi Lemke, wie sie die Umwelt schützen will: Moore sollen etwa renaturiert, Munition aus den Meeren geborgen werden.
Steffi Lemke, Bundeministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. (Foto: Stefan Kaminski)
Steffi Lemke, Bundeministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. (Foto: Stefan Kaminski)

Für ihre Amtszeit hat sich Umweltministerin Steffi Lemke (Die Grünen) viel vorgenommen: Geräte sollen zu reparieren sein, Moore geschützt und Munition und Bomben aus der Nord- und Ostsee geborgen werden. Ein Gespräch über diese Vorhaben und den Umgang mit Kritikern und demokratiefeindlichen Kräften.

Frau Lemke, wie erklären Sie als Bundesumweltministerin der jüngeren Generation, dass die Menschheit beim Schutz der Arten versagt?

Wir wollen alle essen, wohnen, uns fortbewegen und brauchen Rohstoffe aus der Natur. Unser gesamtes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem steht in einem Spannungsverhältnis zum Naturschutz. Jetzt müssen wir da schnell ran.

Warum glauben Sie, dass Sie jetzt den Dreh kriegen?

Weil die Konflikte sich zuspitzen, offensichtlicher werden und bedrohlicher. Nordöstlich von Hawaii treiben rund 80.000 Tonnen Plastik an der Meeresoberfläche, das ist ein Müllstrudel, der viermal so groß ist wie Deutschland. Der ist zum Symbol geworden. Jedes Jahr kommen 13 Millionen Tonnen hinzu. Das, was wir dort sehen, ist also nur die Spitze des Müllbergs. Aber auch wenn ich auf der Elbe oder der Saale paddeln gehe, finde ich auch jede Menge Plastikmüll. Der Druck wächst, Lösungen zu finden.

„Wir brauchen mehr Reparaturen, mehr Recycling, mehr Kreislaufwirtschaft.”

Das wird aber schon im Alltag kniffelig. T-Shirt aus Biobaumwolle oder recyceltem Polyester?

Entscheiden Sie sich für ein langlebiges Produkt, auch bei Kleidung. Die droht zum Wegwerfartikel zu verkommen.

Das ist aber womöglich teurer, die Deutschen lieben Schnäppchen – muss sich das ändern?

Es ist per se nichts Schlechtes sparsam zu sein. Aber ob das immer klug ist? Ob man wirklich spart? Immer billiger – das stößt an seine Grenzen, das geht zu sehr auf Kosten der Umwelt. Das können wir nicht immer so fortsetzen. Wir brauchen mehr Reparaturen, mehr Recycling, mehr Kreislaufwirtschaft. Davon müssen die meisten Menschen auch nicht mehr überzeugt werden. Die meisten wollen nicht diese Billigprodukte oder Geräte, die nach kurzer Zeit kaputt gehen. Da muss die Politik Regelungen treffen.

Also Sie!

Ja, wir werden zum Beispiel einen Reparierbarkeitsindex entwickeln, der solche Produkte kenntlich macht. Damit Verbraucher*innen sofort erkennen können, ob ein Smartphone, ein Laptop, ein Fernseher, eher lange hält und leicht zu reparieren ist. Lässt sich zum Beispiel der Akku austauschen? In Frankreich gibt es das bereits.

„Die bundesweit trockengelegten Moore sind für fast sieben Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen verantwortlich.”

Ihrer Anhängerschaft wird es nie genug sein, was Sie erreichen. Und ihren Kritikern wird es immer zu viel sein. Wie werden Sie damit umgehen?

Ich werde den Konflikt zwischen ökonomischer Nutzung und Naturschutz nicht kleinreden. Fast alle Menschen genießen die intakte Natur. Sie wollen sie. Sie brauchen sie, um sich zum Beispiel vom stressigen Alltag zu erholen.

Beim Bau von Windrädern droht der Artenschutz künftig eher weniger ernst genommen zu werden.

Den Artenschutz werden wir auf Planungs- und Genehmigungsebene auch beim Ausbau der Windkraft sicherstellen. Gleichzeitig wollen wir die Planungsbehörden entlasten. Sie müssen personell besser ausgestattet werden und bei der Digitalisierung vorankommen. Denn oft dauern die Verfahren nur deshalb so lange, weil schlichtweg die Fachleute dafür fehlen. Das Wirtschafts- und Klimaministerium und mein Ministerium suchen derzeit zusammen nach Lösungen. Das müssen wir. Denn der Verlust der Artenvielfalt ist genauso dramatisch wie die Klimakrise. Wir erleben eine Zwillingskrise.

Noch werden jeden Tag 56 Hektar für Verkehrs- und Siedlungsflächen asphaltiert und zementiert. Welchen politischen Stellenwert wird die Natur am Ende bekommen?

Die Koalition hat sich verpflichtet, den Flächenverbrauch zu mindern. Da sind alle gefragt, die Bauministerin, der Verkehrsminister. Und ich werde noch vor Ostern ein Aktionsprogramm „Natürlicher Klimaschutz” vorlegen mit Maßnahmen, Flächen zu renaturieren, so dass sie wieder mehr Kohlenstoff binden, weniger CO2 freisetzen und damit das Klima schützen. Zum Beispiel sollen Moore wieder vernässt werden.

Seit den 50er-Jahren sind die meisten Moore trockengelegt worden, Landwirte nutzen sie als Wiesen, Weiden, Felder – wie wollen Sie die auf ihre Seite bekommen?

Die bundesweit trockengelegten Moore sind für fast sieben Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen verantwortlich. In gesunden Moorböden ist Kohlenstoff gespeichert. Sind sie entwässert, binden sie aber nicht nur keinen Kohlenstoff aus der Atmosphäre, sondern der bereits gebundene Kohlenstoff entweicht als CO2 in die Atmosphäre. Darum hat das Bundesumweltministerium jetzt in Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein für vier Modellprojekte, die über zehn Jahre laufen, 48 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Landwirt*innen werden dort zum Beispiel auf wieder vernässten Moorböden typische Moorgräser anbauen, die dann als Dämmmaterialien genutzt werden können.

„Mein besonderes Anliegen ist der Schutz der Meere.”

Deutschland ist schon mit ein paar Wölfen überfordert, wie wild darf es werden?

Das sehe ich anders. Ich wohne in Sachsen-Anhalt, einem Bundesland mit vielen Wölfen. Das Land gibt Geld für den Schutz der Weidetiere, der Schafe und Ziegen. Und wenn Tiere gerissen werden, können schnell und unbürokratisch Entschädigungen gezahlt werden. Klar ist, wo der Wolf wiederholt wirtschaftlichen Schaden an Nutztieren trotz Schutzmaßnahmen anrichtet, ist der Abschuss längst möglich. Der Wolf ist dort akzeptiert, nach intensiver Arbeit aller. Wir werden insgesamt in die Entwicklung natürlicher Ökosysteme viel Energie stecken. Mein besonderes Anliegen ist der Schutz der Meere.

Sie wollen aus Nord- und Ostsee Bomben und Munition bergen, die da mehr als 75 Jahre nach Kriegsende noch immer lagern – die Risiken wachsen?

Ja, Wissenschaftler*innen haben bereits Schadstoffe aus Sprengstoffen in Muscheln und Fischen festgestellt. Das kann sich verstärken, weil die Munition weiter durchrostet. Und es wird in der Nord- und Ostsee gefischt. Es ist nicht sicher zu sagen, aber Schadstoffe könnten so in die Nahrungsmittelkette gelangen. Eine Bedrohung für die Meeresumwelt und die Meerestiere ist es allemal. Wir werden ein Sofortprogramm aufsetzen und eine solide Finanzierung aufstellen. Wir müssen unser Wissen zusammenführen und auch weitersuchen, wo was liegt. Das muss jetzt als erstes priorisiert werden.

„Mir geht es um das Identifizieren von Lösungen, statt sich in Frontstellungen zu verbarrikadieren.”

Beobachter prognostizieren, dass die Umwelt- und Klimapolitik das nächste große Thema rechter Agendasetter wird, sobald die Corona-Krise vorbei ist. Sind Sie darauf vorbereitet?

Diese Sorge teile ich. Es gibt seit längerem verschiedene rechte Gruppierungen, die versuchen, mit dem Thema Heimat- und Naturschutz zu punkten. Diesen Bestrebungen werde ich entgegentreten.

Wie?

Wir klären darüber auf, dass es diesen Menschen darum geht, die Gesellschaft zu spalten, Desinformation und rechtsradikale Positionen zu verbreiten. Darüber gilt es offen und deutlich zu reden. Es geht nicht darum, ob man frei sprechen und denken darf – das kann man in diesem Land selbstverständlich. Das sage ich als frühere DDR-Bürgerin. Zum anderen müssen wir ganz offen die Spannungsfelder diskutieren, die es zwischen Landwirtschaft, Wirtschaft, Verkehr und Naturschutz gibt. Mir geht es um das Identifizieren von Lösungen, statt sich in Frontstellungen zu verbarrikadieren.

Sie sind eine der wenigen Ostdeutschen im Kabinett. Braucht es beim Umwelt- und Naturschutz regional unterschiedliche Ansprachen?

Ich würde das nicht auf Ost und West beziehen. Um miteinander diskutieren zu können, muss man die jeweilige Lebenssituation und -region im Blick haben. Lösungen für Köln sind zwangsläufig andere als für meine Heimatstadt Dessau. Stendal und Halle brauchen wieder andere. Dem muss unsere politische Kommunikation gerecht werden.

Über Steffi Lemke

Steffi Lemke, 54, Grüne, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. 1989 hat sie die Grünen in der DDR mit gegründet, später war sie Bundesgeschäftsführerin ihrer Partei. Sie lebt in Dessau und kämpft seit Langem für den Schutz von Elbe und Saale. Sie paddelt leidenschaftlich gern.

Verwandte Beiträge