Die amtierende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) über die Gesetzentwürfe zur Suizidhilfe.
Frau Kappert-Gonther, an diesem Freitag berät der Bundestag über die Reform der Sterbehilfe. Sie bringen mit weiteren Abgeordneten den Entwurf eines Gesetzes zur „Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung und zur Sicherstellung der Freiverantwortlichkeit der Entscheidung zur Selbsttötung” ein. Das klingt komplex. Was wollen Sie erreichen?
Unser Ziel ist, dass wir den assistierten Suizid ermöglichen, aber nicht fördern. Wir wollen die Autonomie sichern durch ein angemessenes Schutzkonzept. Wir wissen, dass suizidale Gefühle schwanken können und immer im Kontext der aktuellen Lebenssituation entstehen. Wichtig ist uns deshalb, festzustellen, dass eine Person, die Hilfe zum Suizid in Anspruch nimmt, wirklich freiverantwortlich und dauerhaft einen Suizidwunsch hat und nicht aufgrund veränderbarer innerer und äußerer Drucksituationen. Gleichzeitig wollen wir die
Suizidprävention stärken.
Ein Mensch, der nicht mehr leben will, etwa weil er unheilbar erkrankt ist und schwer leidet, hat sich das doch gut und lange überlegt. Warum zweifeln Sie daran, dass diese Entscheidung nicht freiverantwortlich gefallen sein könnte?
Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, dass die Suizidassistenz für jede Person zur Verfügung stehen soll, also nicht nur für die, die schwer erkrankt sind und deren Lebenserwartung kurz ist. Es kann aber ganz unterschiedliche Gründe geben für suizidale Impulse, etwa seelische Krisen, das Gefühl, anderen zur Last zu fallen oder auch Überschuldung. Es gibt auch manchmal die Haltung schwer Pflegebedürftigen gegenüber,
dass es vielleicht besser wäre, wenn diese Person nicht mehr leben muss. Aber niemandem soll vermittelt werden, er oder sie sei überflüssig und werde nicht gebraucht.
„Für mich ist entscheidend, dass wir den Zugang zum assistierten Suizid ermöglichen und die Autonomie durch ein Schutzkonzept sichern.”
Wie „ergebnisoffen” kann ein von Ihrer Gruppe gefordertes verpflichtendes Beratungsgespräch sein für Menschen, die erklärtermaßen und einsichtsfähig ihr Leben beenden wollen?
Ergebnisoffen heißt, dass der Suizid noch nicht besiegelt ist und Alternativen gemeinsam besprochen werden. Unser Schutzkonzept umfasst zwei psychiatrische Gespräche im Abstand von drei Monaten, bei denen ergründet wird, was dem Sterbewunsch zugrunde liegt und ob dieser freiverantwortlich gebildet wurde. Im Zuge dessen kann es je nach
Situation weiterführende Hilfen geben, beispielsweise eine Pflegeberatung, psychotherapeutische Hilfe oder auch eine Schuldnerberatung. Und wenn der freiverantwortliche Wunsch feststeht, könnte zwei Wochen später die Suizidbeihilfe durchgeführt werden. Für „terminal Erkrankte”, also Menschen, bei denen davon auszugehen ist, dass sie bald sterben, ist nur die erste Untersuchung vorgesehen.
Ein weiterer Gesetzentwurf zur Suizidhilfe sieht den Zugang von Sterbewilligen zu tödlichen Betäubungsmitteln vor. Sie müssen den Wunsch schriftlich niedergelegt haben und über mögliche Hilfen aufgeklärt sein. Wird es nicht nach all den Jahren der Debatte und höchstrichterlichen Urteile Zeit für eine in dieser Weise vereinfachte Lösung, ohne Angst vor dem Staat?
Ich halte es für elementar, dass der Staat nicht eine Art Stempel ausgibt, wer sich suizidieren darf und wer nicht. Ein staatliches Gütesiegel oder Stempel durch einen Sachbearbeiter ist der Sache nicht angemessen. Das Gericht sagt ausdrücklich, dass jene, die sich suizidieren wollen, diesen Wunsch dauerhaft und freiverantwortlich gebildet haben müssen. Für mich ist entscheidend, dass wir das Urteil des Gerichts umfassend umsetzen – also den Zugang zum assistierten Suizid ermöglichen und gleichzeitig die Autonomie durch ein Schutzkonzept sichern.
„Für mich ist es eine gesellschaftliche Dystopie, wenn wir sagen: Wir regeln die Suizidassistenz, aber kümmern uns nicht um die Prävention.”
Beraten wird am Freitag zudem ein fraktionsübergreifender Gruppenantrag mit dem Titel „Suizidprävention stärken und selbstbestimmtes Leben ermöglichen”. Als mögliche Ursachen für den Wunsch zu sterben sollen Einsamkeit und Armut bekämpft werden. Das sind doch Megathemen, die die Politik auf absehbare Zeit nicht lösen kann.
Für mich ist es eine gesellschaftliche Dystopie, wenn wir sagen: Wir regeln die Suizidassistenz, aber kümmern uns nicht um die Prävention. Da haben wir bei niedrigschwelligen Angeboten in Deutschland Nachholbedarf. Im Antrag sehen wir unter anderem praktische Dinge wie höhere Brückengeländer, aber auch eine einheitliche jederzeit erreichbare Nummer und Online-Hilfe vor.
Aber Krisentelefone und die Notrufnummer gibt es doch schon.
Es gibt ein Online-Angebot für Menschen unter 25, aber es gibt keine einheitliche Nummer für alle Altersgruppen. Der Bedarf ist größer als das Angebot und er wird weiter steigen. Suizidbeihilfe findet zurzeit ohne ein Schutzkonzept statt. Das birgt die Gefahr, dass auch Menschen diesen Weg gehen, denen besser mit anderen Maßnahmen geholfen werden könnte.
„Ich hoffe natürlich, dass unser Antrag zur Suizidprävention eine Mehrheit bekommt.”
Wie geht es jetzt weiter mit den Gesetzentwürfen zur Suizidhilfe?
Wir haben am Freitag die erste Lesung und Debatte von drei Gesetzentwürfen. Zeitgleich bringen wir den eben erwähnten Antrag zur Suizidprävention ein. Die Initiativen werden den parlamentarischen Weg gehen mit Anhörungen von Sachverständigen, und im Herbst werden wir hoffentlich die zweite und dritte Lesung abschließen können. Dann entscheidet das Parlament, welcher Entwurf eine Mehrheit findet. Ich hoffe natürlich, dass auch unser Antrag zur Suizidprävention eine Mehrheit bekommt.
Derzeit ist noch nicht einmal geklärt, ob der Rechtsausschuss oder der Gesundheitsausschuss, dessen amtierende Vorsitzende Sie sind, die weitere Beratung übernimmt. Warum ist das so?
Das sind juristische Fragen, die hier verhandelt werden; daher gehe ich davon aus, dass die Federführung im Rechtsausschuss liegen wird. Aber der Gesundheitsausschuss wird beteiligt sein.
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