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Regierung will mehr Rehe schießen – damit der Wald überlebt

Die Pläne der Bundesregierung empören die Jäger. Sie warnen vor einem “Blutbad”.
Ein Reh
Auf der Abschussliste der Bundesregierung: Rehe.

Elisabeth Emmert, die Bundesvorsitzende des Ökologischen Jagdverbandes, liebt den Rehbraten, auch anderes Wildbret. „Ich esse wenig Fleisch. Aber wenn, dann will ich wissen, wo es herkommt.“ Viel spreche für Wild aus dem heimischen Wald auf dem Speiseplan: „Es hatte ein gutes, ein artgerechtes Leben, ihm bleibt der Weg zum Schlachthof erspart“, sagt sie. Und weiter: „Wer mehr Wild auftischt als bisher, rettet auch den Wald.“

Wie viel Wild erträgt der klimagestresste Wald?

Mehr Rehe schießen, um Bäume zu schützen? Emmert bringt damit nicht nur manche Tierschützer gegen sich auf, die schon immer der Jagd kritisch gegenüberstanden. Sondern auch: die traditionelle Jägerschaft. Die Wald-Wild-Debatte ist derzeit besonders hitzig: Das Bundesjagdgesetz wird erneuert.

Die umstrittene Bleimunition soll minimiert, die Jagdausbildung modernisiert werden. Vor allem aber, so das Kernziel, soll der Wald wieder belebt werden. Zwar hat das Kabinett den Entwurf schon vor wenigen Monaten gebilligt, doch nun stockt er im Bundestag. Es ist ein Kampf um die Frage: Wie viele Rehe, wie viel Wild verträgt der Wald?

Rehe erschweren die Aufforstungsbemühungen

Dem setzen Stürme, Dürren, Borkenkäfer zu, egal ob im Sauerland, im Harz, im Erzgebirge. Soweit sind sich alle einig. Der jüngste Waldzustandsbericht zeigt: Vier von fünf Fichten, Kiefern, Eichen sind angegriffen, neun von zehn Buchen. Mancherorts sind die Flächen regelrecht kahl. Mit mehr Laubbäumen soll der Wald – Holzlieferant, Klimaschützer, Erholungsort – widerstandsfähiger gemacht werden.

Rehe allerdings, auch Rot- und Damhirsche, sind echte Feinschmecker. Sie knabbern die jungen Bäume an und fressen Triebe ganz auf. Die vielen Tiere derzeit machen es den Förstern schwer, auch wenn die Bundesregierung den Waldbesitzern und Kommunen dazu rund 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt hat. Wölfe kehren zwar zurück, sind aber bis auf Weiteres selten, die Winter mild. Die Natur regelt das alles nicht mehr von selbst. Darum will auch die Bundesregierung mit neuen Regeln dafür sorgen, dass bundesweit mehr Rehe geschossen werden.

Die Jäger warnen vor “Gemetzel” und “Blutbad”

Bisher erstellen in den meisten Bundesländern die Behörden Abschusspläne mit Höchstgrenzen. Künftig sollen sich Jäger und Waldbesitzer einigen, wie viele Tiere mindestens erlegt werden müssen, damit sich der Wald erneuern kann. Jäger sollen auch im Dunkeln jagen können, Nachtsichtgeräte bei der Jagd auf Wildschweine erlaubt werden. Mindestabschussquoten passen den alteingesessenen Waidleuten jedoch nicht, mancher warnt vor „Gemetzel“ und „Blutbad“.

Emmerts Verband hat 4.000 Mitglieder, der Deutsche Jagdverband: 250.000. Emmert hat sich nun aber Jörg Andreas Krüger, den Präsidenten des 820.000 Mitglieder starken Naturschutzbundes, Nabu, als Verbündeten gesucht. Krüger ist selbst auch Jäger. Seither knallt es erst recht.

Umweltschützer sind für mehr Reh-Abschüsse

Der Bayerische Jagdverband zum Beispiel wirft Ökojägerin Emmert und Naturschützer Krüger vor, die Natur nicht im Sinn zu haben. Denn ein Ökosystem bestehe aus Pflanzen und Tier. Doch die beiden wollten mit ihren Verbänden den Abschuss „um 500.000 Rehe pro Jahr erhöhen“. Bisher werden im Jahr 1,2 Millionen Rehe getötet, 200.000 davon bei Verkehrsunfällen.

Stellt sich Krüger vor die Waldbesitzer, die mit Holz Geld verdienen wollen? „Es wird so getan, als wollten wir das Reh ausrotten. Das stimmt nicht. Rehe gehören zum Wald, aber dem Ökosystem geht es so schlecht, dass wir ihm für etwa 15 Jahre Zeit verschaffen müssen, in der wir das Rehwild zurückdrängen. Dann stehen die jungen Bäume wieder mindestens 1,50 Meter hoch“, sagt Krüger. „Der Abschuss der Rehe soll sich dabei an der Situation des Waldes vor Ort orientieren. Die Zahl 500.000 ist aus der Luft gegriffen.“ Wie groß ist der Wildbestand, wie groß sind die Schäden? Solche Vegetations- oder Verbissgutachten gäbe es zum Beispiel schon in Bayern. „Warum nicht bundesweit?“ fragt Krüger.

Jäger plädieren für Zäune statt Gewehre

Die traditionellen Jäger bringen eine Alternative zum Gewehr ins Spiel: Zäune, die Flächen mit Baumsetzlingen oder natürlichem Nachwuchs schützen. So heißt es beim Deutschen Jagdverband: „Dort wo Forstpflanzen für den Waldumbau gepflanzt oder gesät werden müssen, ist Schutz notwendig – schon allein vor konkurrenzstarken Pflanzen wie Brombeere, Adlerfarn oder drohender Vergrasung.“ Das mache ökologisch, aber auch ökonomisch keinen Sinn, erwidert Krüger: „Zäune sind teuer, sie zerschneiden den Wald für alle Tiere.“

Ökojägerin Emmert meint, der Streit habe mit unterschiedlichen Jagdphilosophien zu tun: „Für einen Jagdpächter, der nur am Wochenende in den Wald kommt und nicht viel Zeit hat, muss die Jagd einfach sein, mit vielen Tieren, er will auch mal auswählen, schieße ich diesen oder jenen Bock mit schönem Gehörn.“ Auch in den Pachtpreisen schlage sich darum nieder, wenn es künftig weniger Wild gebe: sie fielen. Es gehe aber darum, dass Wald und Wild gedeihen.

Wie oft soll Rehbraten also auf den Tisch? Emmert sagt: „Versichern Sie sich, dass das Tier bleifrei geschossen wird, dann können Sie Reh essen, so oft Sie mögen.“

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