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„Modernisierung ist mehr als Digitalisierung”

Forscherin Caroline Fischer über Erwartungen der Menschen an gute Verwaltung, eine neue Fehlerkultur in der Administration und Lehren aus der Pandemie.
Caroline Fischer beschäftigt sich an der Universität Twente in den Niederlanden mit Modernisierungsprozessen in der Verwaltung. (Foto: privat)
Caroline Fischer beschäftigt sich an der Universität Twente in den Niederlanden mit Modernisierungsprozessen in der Verwaltung. (Foto: privat)

Die Modernisierung der Verwaltung ist eines der dringlichen Vorhaben der nächsten Bundesregierung. Erste Ansätze gibt es. In Köln wird die Gesundheitsverwaltung digitalisiert, in Kiel rollt die Verwaltung mit einem mobilen Rathaus zu den Menschen, auch um Berührungsängste zur Bürokratie abzubauen.

Caroline Fischer, 33 Jahre alt, arbeitete lange an der Universität Potsdam. Seit Oktober befasst sie sich an der Universität Twente in den Niederlanden mit Modernisierungsprozessen in der Verwaltung. Die Forscherin hat Politikwissenschaften studiert und in Betriebswirtschaftslehre promoviert, um „Prozesse nicht nur einfach effizienter, sondern auch für die Menschen besser zu machen”, wie Fischer sagt. Ein Interview über Lehren aus Corona für die Verwaltung und warum sich Modernisierung nicht allein in Digitalisierung erschöpft.

Frau Fischer, Kiel setzt mit dem rollenden Tiny Rathaus auf niedrigschwellige Angebote der Verwaltung, auch in Brandenburg kommt das mobile Büro zu den Menschen auf dem Land. Welche weiteren Beispiele für eine Modernisierung der Verwaltung können Sie nennen?

Es gibt viele Ansätze vom Digitallotsen in der Verwaltung bis hin zum mobilen Rathaus wie in Kiel und im Havelland. Vielversprechend finde ich so genannte hybride Modelle, wie wir sie aus Skandinavien kennen, dort werden zum Beispiel Stadtteilbibliotheken ausgebaut zu Anlaufstellen für die Bürgerinnen und Bürger. Die Verwaltung geht auf die Menschen zu.

Das Fax in deutschen Gesundheitsämtern wurde in der Pandemie zum Symbol für den Modernisierungsbedarf. Wie lehrreich war die Corona-Krise für die Verwaltung?

Um einem Missverständnis vorzubeugen: Modernisierung ist mehr als Digitalisierung. Deshalb geht es um mehr als das Fax. Die Verwaltung und ihre Mitarbeitenden haben während Corona gezeigt, dass sie auch in der Pandemie zuverlässig funktionieren. Das war auch ein wichtiges Signal an Vorgesetzte, dass Verwaltung auch arbeitet, wenn Behördenflure leer sind und die Menschen von zu Hause aus arbeiten. Die Frage nach flachen Hierarchien und flexiblen Strukturen beschäftigt nicht nur die Verwaltung, sondern alle Organisationen in Zeiten des Wandels.

„Der Vorteil der Pandemie war, dass die Verwaltung gelernt hat, mit pragmatischen Zwischenlösungen zu leben.”

Das bedeutet übertragen auf die Verwaltung?

Modernisierung setzt schon früh an. Das umfasst auch einen Kulturwandel gegenüber den Bürger:innen. Aber auch eine offenere Einstellung gegenüber Neuerungen, beispielsweise bei flexibleren Arbeitsmodellen oder Projektgruppen neben der Hierarchie. Eine andere Einstellung zu Neuerungen muss aber auch mit einer Fehlerkultur einhergehen. Wenn wir uns die Debatte um die Corona-Warn-App erinnern… dort sind anfangs viele Fehler passiert. Die App war alles andere als perfekt, aber sie wurde über die Zeit verbessert und gilt heute als Vorzeigebeispiel. Verwaltung ist an sich eine risikoaverse Organisation, Fehler gilt es zu vermeiden oder sie werden zumindest versteckt. Die Corona-Warn-App, aber auch die gesamte Pandemie und die Debatte über Fehler und das Lernen aus ihnen war für die Verwaltung hoffentlich lehrreich: Wandel kann auch experimentell erfolgen, Fehler geschehen, damit man aus Ihnen lernt.

Der niederländische Rechtsphilosoph Luuk van Middelaar unterscheidet zwischen der Regelpolitik der Verwaltung und der Ereignispolitik, die in Krisenzeiten schnelle, pragmatische Lösungen erfordert. Warum hat es die Verwaltung so schwer mit Modernisierungsprozessen?

Es ist ja nicht schlecht, dass die Exekutive erst plant und dann macht. Es geht schließlich um Steuergelder und gravierende Entscheidungen, wenn wir zum Beispiel mal an Eingriffe des Jugendamts denken. Da erwarten die Menschen von Verwaltung schon Regelpolitik, dass schafft schließlich auch eine Erwartbarkeit in den Entscheidungen. Wir wissen aber, dass es Veränderungen braucht. Da kann man sich nicht erst totplanen. Der Vorteil der Pandemie war schon, dass die Verwaltung gelernt hat, mit pragmatischen Zwischenlösungen zu leben.

„Die Verwaltung scheut tendenziell eher das Risiko.”

Sie untersuchen selbst Verwaltungsprozesse. Welche Erwartungen haben die Menschen an Bürokratie?

Zum Teil sehr pragmatische Dinge, arbeitnehmerfreundliche Öffnungszeiten, gute Erreichbarkeiten, wenn wir an große Landkreise denken, niedrigschwellige Angebote wie die mobilen Rathäuser oder digitale Bürgerportale. Interessant ist aber auch eine Studie aus Estland, das mit der Digitalisierung seiner Verwaltung führend ist. Dort wünscht sich die Generation der Zwanzig- bis Dreißigjährigen wieder mehr persönliche Kontakte zur Verwaltung, weil sich manche Dinge eben nicht einfach per Klick lösen lassen, sondern eher im direkten Gespräch.

Und wie denken die Mitarbeitenden in der Verwaltung über die Modernisierungsprozesse?

Wie in jeder Organisation gibt es Menschen die für Neuerungen aufgeschlossener sind und andere, die Veränderungen eher scheuen. Die Verwaltung scheut tendenziell eher das Risiko. Die Mitarbeitenden streben schon nach Sicherheit – auch im Beruf. Zugleich zeigen Studien, dass die Mitarbeitenden sehr am Gemeinwohl orientiert sind. Die Mitarbeitenden wollen, dass Prozesse funktionieren. Und sie wollen, dass es den Menschen besser geht und sehen oft ein, dass es dafür Reformen braucht. Corona hat vielen auch gezeigt: Wir können mit Wandel und Krisensituationen umgehen. Die Pandemie hat da schon einen Schub für das Selbstbewusstsein gebracht.

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