Früher besser informiert.
Meine Abonnements
  • Sie sind nicht eingeloggt.

Faktencheck: “Abschiebungen lehnen wir ab”

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Die Linkspartei fordert einen umfassenden Abschiebestopp für alle Menschen, die in Deutschland ausreisepflichtig sind. “Abschiebungen lehnen wir ab”, heißt es in ihrem Wahlprogramm. Thüringens linker Ministerpräsident Bodo Ramelow hatte im Februar einen Beschluss der Bundesregierung zu schnelleren Abschiebungen kritisiert. Den schwarz-roten Kompromiss geißelte er als „Schaufensterpolitik“. Aber was macht die Linkspartei konkret, wo sie in der Regierungsverantwortung ist? Der Journalistico-Faktencheck.

Was wird gefordert?
Im linken Wahlprogramm heißt es, man wolle „Fluchtursachen bekämpfen, nicht die Flüchtlinge“. Und: „Wir unterstützen die Forderungen nach einem sofortigen Stopp der Abschiebungen und nach einem Bleiberecht für alle.“

Geht das überhaupt?
Nein. Für Abschiebungen sind die Länder verantwortlich. Die Ausführung obliegt den Ausländerbehörden, die den Landräten und Oberbürgermeistern der kreisfreien Städte unterstellt sind. Insofern zielt der linke Vorschlag auf eine Änderung des Bundesrechts.

Wann erlaubt das Gesetz bisher Abschiebestopps?
Diese können bislang nur bei besonderen Voraussetzungen verhängt werden. Das regelt Paragraph 60a des Aufenthaltsgesetzes: „Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird.“

Wie viele Abschiebungen gab es insgesamt?
Die Statistik des Bundesinnenministeriums aus den vergangenen sieben Jahren zeigt, dass sich die Abschiebungen in der Flüchtlingskrise zunächst verdoppelt haben. Im ersten Halbjahr 2017 waren sie in allen Bundesländern aber wieder leicht rückläufig.

Abschiebungen
2010 7558
2011 7917
2012 7651
2013 10.198
2014 10.884
2015 20.888
2016 25.375
2017 12.545 (bis Juni)

Welchen Anteil haben Länder, in denen Die Linke mitregiert?
Dazu muss man die Anzahl der ausreisepflichtigen Personen, die keine Duldung mehr haben, ins Verhältnis setzen zur Zahl der Abschiebungen. Journalistico hat das für das erste Halbjahr 2017 anhand der Daten des Bundesinnenministeriums berechnet. Demnach war das Saarland mit 53,7 Prozent anteilig am fleißigsten beim Abschieben. Auf dem zweiten Rang lag Thüringen (45,5 Prozent), das mit Bodo Ramelow vom einzigen linken Ministerpräsidenten regiert wird. Das rot-rote Brandenburg (21,7 Prozent) und das rot-rot-grün regierte Berlin (18,6 Prozent) landeten noch vor Bayern (17,1 Prozent), das sich gerne besonders hart zeigt in der Flüchtlingspolitik.

Abschiebungen nach Bundesländern
Januar bis Juni 2017 Ausreisepflichtige ohne Duldung Anteil der Abschiebungen an den Ausreisepflichtigen ohne Duldung
Saarland  95  177  53,7%
Thüringen  327  719  45,5%
Mecklenburg-Vorpommern  298  680  43,8%
Rheinland-Pfalz  630  2024  31,1%
Baden-Württemberg  1888  6180  30,6%
Brandenburg  326  1506  21,7%
Hamburg  308  1465  21%
Schleswig-Holstein  282  1368  20,6%
Niedersachsen  966  4942  19,5%
Berlin  1132  6082  18,6%
Bayern  1596  9327  17,1%
Sachsen  501  3381  14,8%
Nordrhein-Westfalen  3168  22356  14,2%
Hessen  564  4092  13,8%
Sachsen-Anhalt  231  1899  12,2%
Bremen  47  581  8,1%
Alle Bundesländer 12.545 66.779 18,8%

Die betreffenden Länder selbst nennen auf Anfrage etwas andere Zahlen:
In Thüringen war der Anteil (38,5 Prozent) demnach immer noch doppelt so hoch wie im Bundesschnitt. Das Land Berlin hat die Zahlen sogar absolut erhöht. Im vergangenen Jahr wurden 2.028 Personen abgeschoben, im ersten Halbjahr 2017 waren es bereits 1.122. Rot-rot-grün hat damit sogar CDU-Innenminister Frank Henkel übertroffen – trotz des gegenläufigen Bundestrends.

Wie begründet es der rot-rot-grüne Senat, mehr Menschen als Schwarz-Rot abgeschoben zu haben?
Die Berliner Innenverwaltung erklärte, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nun mehr Asylverfahren abgeschlossen habe – darunter auch ablehnende. Zudem habe die Koalition beschlossen, freiwillige Ausreisen fördern zu wollen.

Und warum landet das linke Thüringen so weit oben?
In Thüringen weist die asylpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion, Sabine Berninger, darauf hin, dass die meisten Menschen in Balkanstaaten abgeschoben wurden. Serbien, Albanien und Kosovo gelten als „sichere Herkunftsländer“, in die zurückgeführt werden darf. Allerdings war das auch in anderen Bundesländern so: Beispielsweise hat Bremen nach eigenen Angaben in diesem und im vergangenen Jahr Personen etwa nach Albanien, Mazedonien und Serbien abgeschoben, in einigen Fällen auch nach Marokko. Trotzdem war der Anteil an Abschiebungen in Bremen so niedrig wie sonst nirgendwo in Deutschland.

Kämpft Thüringen trotzdem irgendwie gegen Abschiebungen?
Ministerpräsident Bodo Ramelow hat bereits im Februar ein Abschiebestopp nach Afghanistan verhängt und im Juni verlängert. Viele Thüringer Kommunen sind aber nicht von Linken oder SPD, sondern von der CDU geführt. So kam es, dass sich die vor Ort zuständigen Ausländerbehörden – unter Umgehung der Landesregierung – in einigen Fällen direkt mit dem Bundesinnenministerium abgestimmt haben und doch Abschiebungen organisiert wurden.

Hätte die Staatskanzlei in Erfurt da nicht stärker intervenieren können?
Bodo Ramelows rot-rot-grünes Bündnis hat nur eine Stimme Mehrheit im Landtag, und das auch nur, weil der Abgeordnete Oskar Helmerich im vergangenen Jahr von der AfD in die SPD gewechselt ist. Insofern ist das Regieren für ihn in Thüringen schwierig geworden. Ramelow hat auch nicht das Parlament befragt, als er den Abschiebestopp für Afghanistan verfügte. Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, hätte sich dennoch einen verbindlicheren Landtagsbeschluss gewünscht, wie ihn beispielsweise Schleswig-Holstein im Februar temporär erwirkte.

Was hat Schleswig-Holstein da gemacht?
Die damals noch regierende Koalition aus SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband hatte den Paragraph 60a des Aufenthaltsgesetzes genutzt – und einen dreimonatigen Abschiebestopp nach Afghanistan beschlossen.

Einen ähnlichen Antrag hatten einen Monat später auch die Grünen in Brandenburg aus der Opposition heraus eingereicht. Sie sind mit dem Vorschlag jedoch gescheitert.

Warum hat die Linken-Fraktion in Brandenburg gegen den generellen Abschiebestopp nach Afghanistan gestimmt?
In diesem Fall verwies die rot-rote Koalition an den Bund, der für die Bewertung der Sicherheitslage in einem Zielstaat zuständig sei. Zudem hätte der Abschiebestopp nicht dauerhaft geholfen, weil er alle drei Monate verlängert werden müsste, erklärte Andrea Johlige, asylpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion. Linke und SPD in Brandenburg haben stattdessen einen modifizierten Antrag zur „Aussetzung von Abschiebungen nach Afghanistan“ verabschiedet. Demnach sollen Ermessensspielräume im Aufenthaltsrecht besser genutzt und die Schutzbedürftigkeit genauer geprüft werden. Auch wurde ein Antrag der Grünen, Opfern rechter Gewalt vorübergehend ein Bleiberecht einzuräumen, vom Landtag angenommen.

Hat das gegen Abschiebungen geholfen?
Nicht wirklich. Nur wenige Tage nach dem Beschluss wurde nach Angaben des Flüchtlingsrats ein Afghane aus Brandenburg abgeschoben. Er hatte sogar Arbeit und galt als integriert. Brandenburg war damit das erste Bundesland mit Regierungsbeteiligung der Linken, das nach in das Bürgerkriegsland abschiebt. Die Rückführung erfolgte im Rahmen einer Sammelabschiebung von 15 Afghanen. Möglich war das auch hier, weil die kommunale Ausländerbehörde den Mann direkt an den Bund gemeldet hatte. Das Land wurde erst nachträglich informiert.

Die Grünen in Brandenburg forderten im Juni daher in einem Antrag einen sogenannten Ministerialvorbehalt: Demnach müsse das Land nicht nur vorab über Entscheidungen der Ausländerbehörden informiert werden, sondern diesen auch zustimmen. Noch ist über den Antrag nicht abgestimmt worden.

Linken-Sprecher Thalheim ergänzte, „eine wirkliche grundlegende Änderung der Praxis ist nur durch eine veränderte Gesetzgebung auf Bundesebene zu erreichen“. Und genau das fordere die Linkspartei ja im Wahlprogramm.

Und wie erklärt sich der Daten-Kuddelmuddel von Bund und Ländern?
Die Länder führen andere Statistiken als der Bund. Laut der Berliner Innenverwaltung dürfte der Grund dafür „insbesondere eine unterschiedliche Zählweise der Bundespolizei und Berliner Ausländerbehörde sein, etwa bei Personen, die bei Rückführungsmaßnahmen (insbesondere Sammelcharter) von einem Bundesland in ein anderes zugeführt (und dann von dort abgeschoben) werden“. Ein Informationsfluss zwischen Bund und Ländern findet offensichtlich nicht statt. Und Pro Asyl warnt: Das Ausländerzentralregister birgt viele Fehler.

Verwandte Beiträge